Bernhard von Clairvaux – Knechtschaft

Der Mensch war ursprünglich frei geschaffen, aber, nachdem die Sünde gekommen ist, hat sich sein Zustand sehr verändert. Die Seele, welche nach eigener Bestimmung fiel, kann sich nicht wieder von selbst erheben und will sich nicht wieder erheben, weil sie in eitle Liebe versunken ist. Sie kann die Sünde nicht lassen und kann sich doch auch ihretwegen nicht entschuldigen. So herrscht nun hier ein Zwang, der sich stets selber macht, eine Gewalt, die drückend schmeichelt und schmeichelnd drückt, eine Last, die als Lust gilt. Der Mensch erduldet eine Knechtschaft, die um so schmählicher erscheinen muß, je mehr er selber ihr beständiger Urheber ist.

Bernhard von Clairvaux – Hunger und Durst nach Gerechtigkeit

Eine starke Hungersnoth ist auf Erden eingetreten, den unvernünftigen Thieren sind wir gleich geworden, essen Träber und werden nicht satt. Wer Geld liebt, wird nicht satt, wer Schwelgerei liebt, wird nicht satt, wer Ruhm sucht, wird nicht satt. Ihr thörichten Kinder Adams, indem ihr das Viehfutter dieser Welt genießet, stärket ihr ja nicht die hungrige Seele, sondern den Hunger selber. Und daß ich es euch durch ein Beispiel klar mache, indem ich eins von den Dingen nenne, wonach die Eitelkeit trachtet: So wenig können menschliche Herzen durch Gold befriedigt werden, als menschliche Leiber sich daran sättigen mögen. Wer satt zu werden wünscht, der muß nach der Gerechtigkeit hungern, nach jenem Brode verlangen, dessen im Hause des Vaters die Fülle ist. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.

Bernhard von Clairvaux – Die Entschlafenen

Daß wir uns der selig Entschlafenen erinnern, geschieht zur Förderung und Erbauung des Herzens. Unsere Gedanken an sie gleichen Funken, durch welche unsere Seelen gehoben und entzündet werden. Und warum sind wir nun noch trag und lässig, uns in Seufzern und Liebesgluth emporzuschwingen? Es erwartet uns die Gemeinde der Erstgebornen, es verlangen nach uns die Heiligen, es hoffen auf uns die Gerechten. Lasset uns aufstehen vom Schlafe, lasset uns suchen und eilen! Ach es ist wohl schon hier schön zu sehen, wie Brüder freundlich zusammen wohnen, und in Eintracht des Herzens und Geistes die Leiden des Lebens überwinden! Aber Vollkommenheit suchst du auf Erden vergebens. Um wie Vieles köstlicher, herrlicher, seliger muß daher die Gemeinschaft sein, in die kein Schatten von Mißgunst oder Zwietracht eindringen kann, die von ewigen Liebesbanden gehalten wird und wo Alle m der Einheit des Vaters und Sohnes verbunden sind! Siehe, die Geliebten sind aus dieser Welt zu Gott gegangen, und haben uns heilige Unterpfänder zurückgelassen. In Frieden schlafen bei uns ihre Leiber, während ihre Namen dort leben in Ewigkeit. O daß wir ihrer nimmer vergäßen, sondern stets bedächten, daß sie und wir Eines großen Leibes Glieder sind!

Bernhard von Clairvaux – Die Kirche

Von dem Zustande und der Vollendung der Kirche hängt das Ende aller Dinge ab. Nicht eher wird Gottes Lob in höchster Weise gepriesen werden, als bis alle Heiligen kommen und im Angesichte der Engel singen: Wir freuen uns der Tage, da Du uns geschlagen, der Jahre, da Du uns hast leiden lassen! Solche Art des Frohlockens lernt der Himmel nur durch die Söhne der Kirche kennen. Es kann nur sein, wo es vorher gefehlt hat. Erwünscht kommt nach der Traurigkeit die Freude, nach der Arbeit die Ruhe, nach dem Schiffbruch der Hasen. Allen gefällt die Sicherheit, am meisten aber denen, die zuvor in Furcht lebten. Lieb ist wohl Allen das Licht, aber am liebsten dem, der lange in finsterer Nacht wandelte. Doppelt groß erscheint das Gnadengeschenk des Lebens, wenn man vom Tode zum Leben hindurchgedrungen ist.

Bernhard von Clairvaux – Gottes Wille

Einst wird uns nicht so sehr dieß erfreuen, daß unser Kummer gestillt und großes Glück uns zu Theil geworden, als vielmehr, daß Gottes Wille in uns und an uns in Erfüllung gegangen; darum wir auch täglich im Vaterunser bitten, wenn wir sprechen: Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden! O heilige und keusche Liebe, o süße und liebliche Empfindung! O reines und ungetrübtes Leben des Willens, wo Nichts mehr von Eigenheit zurückgeblieben ist! So sein heißt Gott gleich werden. Wie ein kleiner Wassertropfen, unter vielen Wein geschüttet, ganz zu verschwinden scheint, da er Geschmack und Farbe des Weines annimmt; wie das Eisen sich ganz vom Feuer durchdringen läßt; wie die Luft, vom Sonnenscheine durchglänzt, in dieselbe Klarheit des Lichtes sich wandelt, so daß sie nicht sowohl erleuchtet, als selbst Licht zu sein scheint; so wird einst in den Heiligen alle menschliche Neigung zerfließen und sich ganz in den Willen Gottes auflösen. Denn wie sollte Gott Alles in Allen sein können, wenn irgend Etwas im Menschen vom Menschen übrig bliebe? Verbleiben wird zwar das Wesen, aber in anderer Gestalt, in anderer Herrlichkeit, in anderer Kraft.

Bernhard von Clairvaux – Ewigkeit

O seliges Land der himmlischen Heimath, wo der dreieinige Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut wird, wo jene erhabenen Engelschaaren unter tiefem Rauschen der Flügel zu rufen nicht aufhören: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth! in dir ist Wonne, in dir ist Licht, in dir ist Reichthum, in dir ist Friede, in dir ist anbetendes Staunen. O hohes Land, aus dem Thale der Thränen seufzen wir zu dir empor, da Gott Alles in Allen sein, da die enthüllten Wunder der Welt den Schöpfer preisen und die Kreaturen mit Seligkeit erfüllen werden. Eile hinauf, du geistliche Seele, mit den Augen der Sehnsucht, siehe den König der Ehren in seinem Glanze! Legionen von Engeln und Schaaren von Heiligen reihen sich um ihn, der die Stolzen erdrückt und die Demüthigen erhebt, die Teufel verdammt und die Menschen erlöst.

Bernhard von Clairvaux – Gott sehen

Du siehst die Sonne nicht wie sie ist, sondern wie sie scheint in die Luft, auf den Berg, an die Wand. Du könntest auch dieß nicht, wenn nicht dein Auge irgend welche Verwandtschaft mit ihr hätte. So kann auch der Erleuchtete die himmlische Sonne der Gerechtigkeit, wie sie leuchtet, schon ans Erden sehen, aber noch nicht, wie sie ist. Hier wechseln die Formen, unter denen sich der Herr zeigt, einst aber werden wir ihm gleich sein und ihn sehen, wie er ist. Solches Schauen steht, weil die Form steht, unter der geschaut wird. Das Ist erleidet keine Veränderung, von dem, was war und sein wird. Denn was aus dem war kommt, eilt nach dem sein wird, und geht zwar durch das Ist hindurch, ist aber eigentlich gar nicht, weil es sich nicht gleich bleibt. Nimm aber war und sein wird hinweg, wo soll dann noch eine Veränderung oder ein Wechsel des Lichts und der Finsterniß herkommen? Wann also Er selber, der da ist, oder vielmehr, der nicht so oder so ist, wird gesehen werden, wie er ist, dann steht das Schauen unwandelbar. Und die Kinder Gottes werden nichts Lieberes sehen wollen, nichts Köstlicheres sehen können. Keine Sucht bringt da Ueberdruß; die Wonne vergeht nicht, die Wahrheit täuscht nicht, die Ewigkeit endet nicht. Der Wille und die Fülle bleiben, und damit die volle Seligkeit.

Bernhard von Clairvaux – Dreifache Eitelkeit

Einer dreifachen Eitelkeit ist hier die Creatur unterworfen. Die Vernunft leidet an Irrthümern, der Wille an Leidenschaften, das Gedächtniß an Vergessenheit. Einst soll es anders sein. Der Herr wird für die Vernunft die Fülle des Lichts, für den Willen der Reichthum des Friedens, für das Gedächtniß die Länge der Ewigkeit sein. O Wahrheit, o Liebe, o Ewigkeit! O selige und beseligende Dreieinigkeit, zu Dir seufzt dein verderbtes Abbild empor, da es in so trauriger Fremde weilt und sich mit Irrthum, Schmerz und Schrecken plagt. Mein Herz ist zerrissen, daher der Schmerz; meine Kraft hat mich verlassen, daher der Schreck, und das Licht meiner Augen ist nicht bei mir, daher der Irrthum. Doch was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, wenn ich einst von jener wunderbaren Klarheit, von jener vollen Liebe und jener endlosen Ruhe umgeben sein werde.

Bernhard von Clairvaux – Auferstehung

Er selber, der Herr Zebaoth, der Herr der Herren und der König der Könige, wird einst herabsteigen, um unsere sterblichen Leiber lebendig und seinem verklärten Leibe ähnlich zu machen. Welche Feierlichkeit, welcher Jubel, wann der Schöpfer der Welt, der einst zur Rettung unserer Seelen niedrig und verborgen kam, um dich, o armes Fleisch, zu verherrlichen, in seiner Glorie und Majestät erscheinen wird! Wer mag ihn denken, jenen Tag der Wiederkunft, wo er herabfahren wird, vom ewigen Lichte umflossen! wo die Engel voraneilen und mit Posaunenhall die Todten aus den Gräbern rufen werden! O dann werden die Wünsche der Gläubigen ganz erfüllt, dann werden alle Lande voll der Ehre des Herrn werden!