Claudius, Matthias – Im Junius

Aber die Lenzgestalt der Natur ist doch wunderschön; wenn der Dornstrauch blüht und die Erde mit Gras und Blumen pranget! So ’n heller Dezembertag ist auch wohl schön und dankenswert, wenn Berg und Tal in Schnee gekleidet sind, und uns Boten in der Morgenstunde der Bart bereift; aber die Lenzgestalt der Natur ist boch wunderschön! Und der Wald hat Blätter, und der Vogel singt und die Saat schießt Ähren, und dort hängt die Wolke mit dem Bogen vom Himmel, und der fruchtbare Regen rauscht herab –

Wach auf mein Herz und singe
Dem Schöpfer aller Dinge rc.

’s ist, als ob Er vorüber wandle, und die Natur habe Sein Kommen von ferne gefühlt und stehe bescheiden am Weg‘ in ihrem Feierkleid, und frohlocke!

Claudius, Matthias – Polykarp

Es war ’nmal ein Polycarpus, der war ein Christ und zugleich Bischof von Smyrna, und den verfolgten deswegen die Heiden und schleppten ihn vor den Richter, dass er verbrannt würde, und der Richter tat ihm den unverschämten Antrag, dass er Christum lästern sollte. „Ich diene ihm nun sechsundachtzig Jahre“, antwortete Polycarpus, „und er hat mir kein Übels getan. Wie sollt‘ ich denn meinen Herrn und Heiland lästern?“ Indes war er’s gerne zufrieden, dass er verbrannt würde, und das geschah denn auch.

Was soll man daraus lernen? Antwort: Dass das eine gute Herrschaft sein muss, für die man nach sechsundachtzigjährigem Dienst noch gerne durchs Feuer gehen will.

Claudius, Matthias – Religion

Der Geist der Religion wohnt nicht in den Schalen der Dogmatik, hat sein Wesen nicht in den Kindern des Unglaubens, noch in den ungeratenen Söhnen und übertünchten Gräbern des Glaubens, lässt sich wenig durch üppige glänzende Vernunftsprünge erzwingen, noch durch steife Orthodoxie und Mönchswesen. Und, für Kinder, deren Herz durch die Religion gebessert werden soll, ist freilich der simpelste und kräftigste Ausdruck der beste. Wenn ich bei der Quelle stehe, warum soll ich nicht aus der Quelle trinken; so bin ich doch sicher vor dem Unrat am Eimer. Es ist Ehre für einen Mann und für ein Volk, wenn es strenge und eifrig für seine Religion ist, aber es ist doch auch Billigkeit, zu untersuchen ehe man eifert.

Claudius, Matthias – Etwas tun

Man kann nicht bergauf kommen, ohne bergan zu gehen. Und ob wohl Steigen beschwerlich ist, so kommt man doch dem Gipfel immer näher, und mit jedem Schritt wird die Aussicht umher freier und schöner! Und oben ist oben.

Wie nun der Sklave es auch machen möge, sich seiner Ketten zu entledigen, so viel ist klar, dass er durch Wissen und Vernünfteln die Ketten nicht brechen werde, sondern dass er Hand anlegen müsse, wenn es sein Ernst ist, ihrer los zu werden.

Claudius, Matthias – Licht

Wenn ein guter Hausvater bei Nacht Licht braucht, so hascht er’s nicht draußen unter dem weiten Tausend-Sternen-Himmel, und bringt es durch die Fenster herein, sondern er schlägt es mit Stahl und Stein mühsam und künstlich im Hause an, und lässt es durch die Fenster hinaus leuchten.

Claudius, Matthias – Er schuf sie ein Männlein und Fräulein.

1. Buch Mose 1, v. 27.

Ich hab‘ immer gedacht, dass der Spruch nicht umsonst in der Bibel stehe, und ich denk es noch. Er soll wohl unter andern zu verstehen geben, wenn so ’n Fräulein uns mit ihren Taubenaugen überlistet, dass wir uns ceteris paribus nicht schämen dürfen, denn Gott hat das Fräulein mit den Taubenaugen erschaffen. Ihn jammerte des Menschen, dass er so im Schweiße seines Angesichts dahin ging, bis er wieder zur Erde würde, davon er genommen war, und gedachte ihm wohl zu tun da wandelten die zarten Lispel vom Himmel herab, da schlug die Liebe die Flügel, und seine Engel tanzten zum Klange des ersten Flügelschlags, Aber der Feind kam auch her bei der Nacht und säete giftige, hässliche Drachen, und ungeheuer mit Pumphosen und goldenen Klauen. Die kamen und verheerten die schönen Jünglinge und Mädchen im Lande, und die heilige Liebe des Fräuleins floh und verbarg sich in den Felsklüften und auf den Scheidebergen, und selig ist, wer sie findet!

Claudius, Matthias – Was ich wohl mag.

Ich mag wohl Begraben mit ansehen, wenn so ein rotgeweintes Auge noch einmal in die Gruft hinabblickt, oder einer sich so kurz umwendet und so bleich und starr sieht und nicht zum Weinen kommen kann; ’s pflegt mir dann wohl selbst nicht richtig in’n Augen zu werden, aber eigentlich bin ich doch fröhlich. Und warum sollt ich auch nicht fröhlich sein; liegt er doch nun und hat Ruhe! und ich bin darin ’n närrischer Kerl; wenn ich Weizen säen sehe, so denk‘ ich schon an die Stoppeln und den Erntetanz. Die Leut‘ fürchten sich so vor einem Toten, weiß nicht, warum. Es ist ein rührender, heiliger, schöner Anblick, einer Leiche in’s Gesicht zu sehen; aber sie muss ohne Flitterstaat sein. Die stille, blasse Todesgestalt ist ihr Schmuck, und die Spuren der Verwesung ihr Halbgeschmeide, und das erste Hahnengeschrei zur Auferstehung.

Claudius, Matthias – Der Heiland

Wer nicht an Christum glauben will, der muß sehen, wie er ohne ihn raten kann. Ich und du können das nicht. Wir brauchen jemand, der uns hebe und halte, weil wir leben, und uns die Hand unter den Kopf lege, wenn wir sterben sollen. Und das kann Er überschwenglich tun, nach dem, was von ihm geschrieben steht; und wir wissen keinen, von dem wir’s lieber hätten.

 

Claudius, Matthias – Paraphrasis Evangelii Johannis

Ich habe von Jugend auf gern‘ in der Bibel gelesen, für mein Leben gern. ’s stehn solche schöne Gleichniß und Räthsel d’rinn, und ’s Herz wird einem darnach so recht frisch und muthig. Am liebsten aber les‘ ich im Sanct Johannis. In ihm ist so etwas ganz wunderbares – Dämmerung und Nacht, und durch sie hin der schnelle zückende Bliz! ’n sanftes Abendgewölk und hinter dem Gewölk der grosse volle Mond leibhaftig! so etwas schwermüthiges und hohes und ahndungsvolles, daß mans nicht satt werden kann. ’s ist mir immer beym Lesen im Johannis, als ob ich ihn beym lezten Abendmahl an der Brust seines Meisters vor mir liegen sehe, als ob sein Engel mir’s Licht hält, und mir bey gewissen Stellen um den Hals fallen und etwas ins Ohr sagen wolle. Ich versteh lang nicht alles, was ich lese, aber oft ists doch, als schwebt‘ es fern vor mir, was Johannes meynte, und auch da, wo ich in einen ganz dunklen Ort hinein sehe, hab ich doch eine Vorempfindung von einem grossen herrlichen Sinn, den ich ’nmahl verstehen werde, und darum greiff‘ ich so nach jeder neuen Erklärung des Johannes. Zwas die meisten kräuseln nur an dem abendgewölke, und der Mond hinter ihm hat gute Ruhe.

 

Des Herrn Verfassers Erklärung ist sehr gelehrt, dünkt mich, und ich glaube, daß man wohl zwanzig Jahr studieren muß, ehe man so eine schreiben kann.

Claudius, Matthias – Am Karfreitagsmorgen

Bin die vorige Nacht unterwegs gewesen. Etwas kalt schien einem der Mond auf den Leib, sonst war er aber so hell und schön, daß ich recht meine Freude dran hatt‘, und mich an ihm nicht konnte satt sehen. Heute Nacht vor tausend acht hundert Jahren schienst du gewiß nicht so, dacht‘ ich bey mir selbst; denn es war doch wohl nicht möglich, daß Menschen im Angesicht eines so freundlichen sanften Mond’s einem gerechten unschuldigen Mann Leid thun konnten!