Dionysius der Karthäuser – Lehre

Lasset uns mit Ernst uns bestreben, in zweifacher Weisheit vollkommener zu werden, nämlich in der Lehre der Weisheit, und in der Lehre der heiligen Schrift, und durch fleißiges Betrachten ihrer aufgestellten Beispiele uns so erfreuen, daß wir um so mehr andern irdischen und geringern Trost verachten lernen… Laßt uns die Lehre eine Matthäus ins Gedächtniß prägen, und Tag und Nacht darüber nachdenken, damit es uns Wonne gewähre, und wir gründlich erkennen lernen … die Zeugnisse und Gebote, die Lehren und Warnungen, die Tugenden und die Heiligkeit, das Leben und die Thaten Christ … diese sollen unsere tägliche Nacheiferung, nach diesen unser ganzes Leben eingerichtet seyn. Denn wenn wir nach dem streben, was Baruch (Kap. 3) sagt: „Lerne, wo die Weisheit, wo die Tugend, wo Vernunft zu finden sey, damit du weißt, wo ein langes Leben, wo Licht und Friede seye.“ Wenn, sag‘ ich, wir dieses zu lernen wünschen; so laßt uns das Evangelium lesen, und uns bestreben, es zu fassen!

In allen Widerwärtigkeiten ist uns die heilige Schrift so wohl in Worten als Beispielen lehrreich… Sie gießt Trost in die fromme Seele; denn sie enthält viel ermunterndes und hebendes; deswegen auch 1 Machab. 12 Jonathas und andere sagten: „Die heiligen Bücher sind uns zum Troste.“ Denn jede von Gott eingegebene Schrift ist nützlich zur Belehrung.

Dionysius der Karthäuser – Betrachtung des Todes

Schon ein großer Mann des Alterthums hat gesagt, das Leben des Weisen bestehe in der Betrachtung des Todes. Daß wir doch täglich bedächten, was wir einst sein worden! Wer oft an den Tod denkt, verläßt das Gegenwärtige, und eilt dem Zukünftigen zu. Gott hat uns darum den Tag des Todes verborgen, daß wir ihn immer für nahe achten, und daß wir, je ungewisser es ist, wann wir gerufen werden, desto eifriger in unserm Berufe sein sollen. Verscheuche nicht das, was dir Thränen entlocken will, durch eitlen Jubel, und vertreibe dir die Todeserinnerung nicht durch unbesonnenes Lachen. Wenn du des Morgens aufstehst, so denke, du mochtest vielleicht den Abend nicht wieder erleben; wenn du des Abends zu Bette gehst, so zweifle, ob du das Morgenlicht wieder erblicken wirst.

Dionysius der Karthäuser – Lachen

Wenn wir erwägen, wie viele Gefahren uns umringen, wie viele Fallstricke uns umgeben, wie viele Sünden täglich an unserm Lebensmark zehren, wie unvollkommen und mit wie geringer Ehrfurcht wir dem Herrn dienen, wie vieles Unglück täglich in der Welt geschieht, wie vielfach Gottes Ehre gelästert wird, wie viele Menschen täglich sterben, wie vielen Nöthen, Strafen und Sünden unsre Verwandten, Freunde und Gönner ausgesetzt sind, so haben wir gewiß mehr Ursache zu weinen, als zu lachen. Das bedachte jener Einsiedler, der zu einem lustigen Bruder unter Seufzen sagte: Vor Himmel und Erde werden wir an jenem Tage Rechenschaft ablegen müssen, und du lachst noch? Auch hat der Herr selber gesprochen: Wehe euch, die ihr hier lachet, denn ihr werdet weinen und heulen!

Dionysius der Karthäuser – Nachfolge

Willst du wissen, mit wie großer Bedachtsamkeit wir auf dem Wege des Heils fortschreiten müssen, so erwäge, was der eingeborne Sohn, die ewige Weisheit Gottes, für uns geworden ist, gelitten und gethan hat. Er hat um unsertwillen die menschliche Natur angenommen, zu unsrer Erlösung die größten Lasten getragen, ja den bittersten Tod erduldet. Willst du dich nun noch länger vernachlässigen, noch länger die Zeit der Gnade verscherzen? Wähnst du, daß du bei einem so schlaffen und oberflächlichen Leben, das noch der Weltliebe so voll und der Gottesfurcht so ledig ist, selig werden könnest? So entgeht man wahrlich nicht der ewigen Pein, so erreicht man nimmer das himmlische Vaterland. Hat Christus gelitten und uns ein Beispiel hinterlassen, daß wir sollen nachfolgen seinen Fußstapfen, so müssen wir ihm auch in seinen Leiden ähnlich werden, müssen mit ihm sterben; denn wer da saget, daß er in ihm bleibe, spricht der Apostel, der muß auch wandeln, gleichwie er gewandelt hat. So gieb denn der Eitelkeit Abschied, unterwirf deinen Willen dem Gesetze des Herrn und laß die Furcht Gottes immerdar in dir wohnen.

Dionysius der Karthäuser – Liebe

Wie schon die sinnliche Liebe eine geliebte Person gern betrachtet, beständig an sie denkt, alle ihre Angelegenheiten, auch die kleinsten berücksichtigt und im Auge behält, getrennt von ihr sich sehnt und kümmert, vereint mit ihr immerdar fröhlich ist und keine Zeit zu lang findet; so verhält es sich auch mit der Seele, welche Gott wahrhaft liebt. Ueberall und immerdar gedenkt sie des Herrn und erfüllt buchstäblich den Ausspruch: Diese Worte sollst du zu Herzen nehmen und darüber nachdenken, magst du im Hause sitzen, oder auf der Straße gehen, magst du dich niederlegen oder aufstehen. Sie lenkt gern und oft ihren Blick auf die herrlichen Eigenschaften ihres Gottes hin. Bald versenkt sie sich in seine unaussprechliche Güte und Gnade, bald in seine unermeßliche Weisheit und Allmacht, bald in seine Gerechtigkeit und Ewigkeit, und die Betrachtung erregt ihr Verwunderung, und die Verwunderung immer größere Liebe und die Liebe immer neues Lob und neuen Dank.

Dionysius der Karthäuser – Wohltun der Seele

Wenn es der Seele vergönnt wird, tief in den Reichthum der himmlischen Herrlichkeit hinein zu blicken, staunend auf das unermeßliche Meer der Gottheit hinzuschauen, und mit den Augen des Geistes die unbegreifliche Majestät zu betrachten, die ohne Anfang ist und alle Dinge in ihrer Hand hält, dann vergißt sie sich und geht gleichsam auf in dem Geliebten. O wie wohl ist ihr da, wie heiter, wie lieblich, wie verklärt und still erscheint ihr Alles! Die Nebel der Laster haben sich zerstreut, die Stürme der Leidenschaften sind verrauscht, Zerstreuungen und Anfechtungen sind gesunken, die Sonne der Gerechtigkeit ist emporgestiegen mit Klarheit und mit Wärme.

Dionysius der Karthäuser – Ruf zur Reue

Muß nicht Gott, der heilige und erhabene Gesetzgeber, heftig erzürnt werden, wenn er sieht, wie du, Wurm des Staubes und der Eitelkeit, seinem Befehle nicht gehorchest, seine Majestät beschimpfest, seiner Wohlthaten vergissest, und dich weder um die Ermahnungen seiner Diener, noch um seine unsichtbare Gegenwart kümmerst? Und mußt du nicht erschrecken, daß du, obwohl dem Tode immerdar ausgesetzt und täglich sterbend, dich dennoch gegen deinen Herrn und Gott, den allmächtigen und unaussprechlich großen Gott, so oft vergangen hast und noch vergehst? Was bist du denn? Eine Blume, die aufblühet und bald zertreten wird; ein Schatten, der eilend davon flieht. Und du kannst noch aufgeblasen und stolz sein? Ach daß du dich doch hassen, daß du dich selbst strafen, daß du deine Seele beugen möchtest vor dem reinen und heiligen Gott! Was du vor frommen und weisen Menschen nicht zu reden wagst, das wage vor ihm nicht einmal zu denken; denn vor Gott sind Gedanken des Herzens, was vor Menschen Worte des Mundes.

Dionysius der Karthäuser – Nachfolge

Die bittern Leidenstage des Herrn sollst du dir täglich vor Augen stellen, um an ihnen zu sehen und zu lernen, wie auch du als sein Knecht thun und dulden sollst. Denke darum an jenes letzte heilige Mahl, wo er zu lieben mit Wort und Werk lehrte, mit dem Worte, da er sprach: Ein neu Gebot gebe ich euch, daß ihr euch unter einander liebet, wie ich euch geliebet habe; mit dem Werke, da er den Jüngern die Füße wusch und sie mit seinem Schurz trocknete. Denke daran, wie er darauf in der Angst heftiger betete, also daß sein Schweiß in Blutstropfen zur Erde fiel; wie er verrathen, gefangen und gebunden in das Haus des Hohenpriesters geführt ward, wie die Gewalt der Finsterniß in der Nacht das furchtbarste Spiel mit ihm trieb, wie man ihn geißelte, anspie, schlug und lästerte; wie er aber, der Heilige Gottes, alle Leiden mit Geduld, Sanftmuth und Stille trug. Siehe, wie er vor den Landpfleger als Aufrührer gestellt und verklagt, wie er von Herodes verachtet und zum Spott mit weißen Kleidern angethan wird, wie er wieder entblößt, mit Geißeln zerfleischt und mit Striemen bedeckt, mit Purpur umhüllt und mit Dornen gekrönt dasteht. Da trieft sein heiliges Antlitz überall von Blut, aber man verhöhnt ihn noch mehr, man reißt ihm das Rohr aus der Hand und drückt die Dornen immer tiefer in sein Haupt hinein. Siehe, wie er matt und bleich hinwankt mit dem Kreuzespfahl auf dem Rücken, siehe, wie er zwischen Verbrechern hängt, wie Hände und Füße durchstochen sind, wie der Leib qualvoll gespannt ist; siehe, wie man ihn mit Galle und Essig tränkt; höre ihn, wie er ausruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen!