Gerson – Ewigkeit

Ich erschrecke und erbebe, wenn ich jenes furchtbaren Wortes gedenke: Weichet von mir, ihr Uebelthäter, gehet hin von mir in das ewige Feuer! O wie bitter ist es vom höchsten Gute, vom größten Glücke, vom dauerndsten Frieden auf immer getrennt und in das tiefste Elend, in ewige Pein und Unruhe verstoßen zu werden! O hartes Wort, o ewiger Zorn, komme nicht über mich! Laß mich, o Herr mein Gott, lieber leiden in der Zeit, als daß ich jammern müßte in Ewigkeit!

Gerson – Die Todesstunde

Welcher Freund wird mir treu bleiben? Wer wird mir beistehen in jener letzten Noll), in jener furchtbaren Stunde des Todes? Wer wird mir da helfen? wer für mich reden und antworten? Vor den Richterstuhl des heiligen und allmächtigen Gottes gestellt, werden sich rings um mich Feinde erheben; mein Gewissen wird schlagen, meine Werke werden verklagen. Kann mir dann die Welt noch helfen? O nein, sie wird in weiter Ferne hinter mir liegen. Kann mir dann der Leib noch helfen? O nein, er wird im Grabe modern, von Würmern zernagt. Kann mich dann Sinnenreiz noch laben? O nein, die Thore des Körpers, durch die ich früher ging, um Luft und Vergnügen zu suchen, Augen, Ohren, Zunge, Geschmack, Gefühl und alle Glieder werde ich verschlossen finden mit dem ehernen Riegel des Todes. Ach, ich bin verloren, habe ich mir nicht auf Erden schon einen Freund im Himmel erworben.

Gerson – Gedenke Deiner Todesstunde

Es ist gut zu aller Zeit und bei allen Handlungen seiner Todesstunde eingedenk zu sein. Man muß sich oft fragen: Sage mir, meine Seele, bekenne mir, Elende und Unglückliche, wenn du in diesem Augenblicke oder nach einer Stunde dem Leibe entrückt und vor den Richterstuhl Gottes gestellt würdest, was wolltest du antworten? zu wem deine Zuflucht nehmen? Thue doch also schon jetzt, wie du dann gethan haben möchtest, und fliehe schon jetzt zum Throne der Gnade! Du weißt ja nicht, wie schwach du am Ende sein, oder wie geringe Zeit dir zur Reue übrig bleiben wird! Solches muß man oft bei sich erwägen und bedenken. Es ist auch gut, wenn man sich vorstellt, als sähe man seine Freunde und Bekannten auf dem Todtenbette liegen, als sähe man ihre nach Hülfe und Rettung suchenden Mienen. Gewiß ist uns der Tod; er wird für einen Jeden sicherlich kommen und nicht ausbleiben!

Gerson – Gottes Einkehr

Wer klopft doch an meines Herzens Thür? Gewiß ist es mein Gott und Vater. Weichet zurück, ihr elenden Geister, die der Vater, der bei mir einkehren will, von ganzer Seele haßt. Gehet, Stolz und Hoffart, Zorn und Rache, Haß und Neid, Geiz und Schwelgerei; geh ohne Säumen, du ganze Familie der Laster. Und nun komm, theuerster Herr! Siehe, meine Hände sind so matt und so schwach, ich kann die Thür nicht öffnen. Brauch Deine Macht und schließe Dir auf mit Deinem Himmelschlüssel! Arm bin ich freilich, aber ich weiß, daß Du meiner nicht bedarfst, o höchstes Gut. So siehe nun meines Herzens Wunsch an, und laß Dir meinen Willen Wohlgefallen.

Gerson – Frieden

Wer wahren Frieden haben will, der muß in Zion wohnen, das heißt, er muß zu Gott fliehen; denn kein Andrer kann für uns streiten, als Er, der uns gemacht hat. Wir müssen täglich kämpfen, weil wir täglich angefochten werden. Wir müssen den Schild des Gebetes ergreifen, aus vollem Herzen seufzen, den Namen Jesu anrufen und aufblicken gen Himmel, daher alle gute Gabe kommt. Wir müssen sprechen: O lieber Herr Jesus, hilf mir doch! Herr, mein Gott, stehe mir bei! Was kann ich Unglücklicher ohne Dich vollbringen? Suchen wir also ernstlich seine Hülfe und seinen Rath, dann wird unser Herz gewißlich erfreut und erfrischt werden.

Gerson – Nachfolge

Wenn Gott den Sterblichen Nichts ohne Arbeit gegeben hat, wie der Dichter sagt, wenn nach des Apostels Worten Niemand gekrönt wird, er kämpfe denn recht, so mußt du dich auch mühen, wenn du schon hier die Herrlichkeit Gottes erblicken willst. Wie lange wirst du dich doch mit der Armuth in diesem Thränenthale, mit dem Kothe und Schmutze der Erde begnügen? Mache dich eilig auf, lauf wie ein Held deinen Weg, und steige rüstig hinan zum Berge des Herrn. Wie lange will deine Seele von Frost und Kälte starren? Wie lange soll sie des Feuers der Andacht entbehren? Höre nicht auf zu lesen, zu betrachten, zu beten; blase frisch zu, bis ein Funke der Andacht emporsteigt. Anfangs wird ihn freilich die schwarze Rauchwolke der Anfechtungen zu ersticken drohen; die Augen werden dich schmerzen, und von Falten wird dein Antlitz starren, aber fürchte dich nicht, blase nur kräftig fort, bald bricht die Flamme immer heller und heller hervor, und endlich wird Gottes reines und ungetrübtes Licht dir leuchten, gleichwie aus einer glühenden Kohle, daran kein Rauch mehr zu sehen ist. Hat dir aber der Herr solche Gnade verliehen, bist du zu einer solchen Höhe emporgestiegen, so suche das Feuer der Andacht unter der Asche der Demuth gegen den Windzug des Stolzes nicht minder, als gegen den Schnee träger Sorglosigkeit zu verwahren; denn wehe denen, welche die Gnade verscherzen!

Gerson – Trost

Einige angefochtene Seelen glauben verzweifeln zu müssen, weil sie von verzweifelten Stimmungen befallen werden. Aber so sehr sie auch Solches fühlen mögen, so tief sie auch von dieser Versuchung gleichsam verschüttet werden; so lange die Vernunft nicht einstimmt, so lange geht auch die Liebe zu Gott nicht verloren. Das Feuer, welches am Tage auf dem Heerde brannte, scheint während der Nacht unter der Asche ganz erstickt und verkommen zu sein, und doch finden sich, wenn man am Morgen sucht, hie und da noch Funken, aus denen eine ebenso große Flamme, wie vorher, wieder erweckt wird. Gleicherweise kann der Geist des Menschen vom Teufel nicht überwunden werden, wenn der Wille nicht einstimmt. Man muß nur unter dem Andrange solcher Anfechtungen schreien: Herr, mein Gott, thue mir nach dem, was ich gern möchte, nicht nach dem, was ich empfinde. Es pflegt wohl auch zu geschehen, daß sich fromme Gemüther über, kleinere Sünden zu viele Bedenklichkeiten machen, daß sie ängstlich auf Alles, was sie thun. Acht geben, und dann mit der Wage der Gerechtigkeit in der Hand des göttlichen Erbarmens, welches unserer Seligkeit Quell ist, ganz vergessen. Da beten einige einen Psalm für sich, und ein plötzlich aufsteigender Gedanke reißt sie von der Andacht hinweg; sie wiederholen ihr Gebet nun mit Anstrengung zwei-, dreimal, doch öfter wird ihnen die heilige Speise immer fader und geschmackloser. Andere bekennen und beichten ihre Sünden, aber sie fühlen sich nicht vollständig zerknirscht, und quälen und ängstigen sich darum immerdar. Allen Solchen ist zu rathen, daß sie von ihrer Gerechtigkeit hinweg auf Gottes lauteres Erbarmen schauen, und ihre Vergehen so mögen wägen lernen, daß sie die unendliche Liebe Gottes überwiegen lassen. Von einzelnen gotteslästerlichen oder unreinen Gedanken muß sich Keiner irre machen lassen. Sie kommen vom Teufel, und so lange sie dem Menschen nicht zur Lust, sondern zur Last sind, werden sie ihm nicht als Sünde angerechnet. Wollte Jemand mit dem Bekenntniß von dergleichen Gedanken sehr ins Einzelne gehen und sich mühen, nichts zu verschweigen, so würde er ohne Zweifel nichts weniger als Herzensruhe erlangen, vielmehr dem bösen Feinde immer mehr Gelegenheit zu quälenden Angriffen geben; gleichwie diejenigen, welche bellenden Hunden, um ihre Wuth zu beschwichtigen, Brod vorwerfen, sie oft nur noch stärker reizen. Hier gilt der Rath, sich gar nicht viel um solche Gedanken zu kümmern, oder mit ihnen zu streiten, sondern höchstens lachend zu sprechen: Dein Schmutz muß auf dich selber zurückfallen, o Satan; Gott ist mein Beistand, dich fürchte ich nicht. Uebrigens ist es sehr gut, wenn kleinmüthige Personen sich wegen ihrer Bedenklichkeiten an bejahrte fromme Männer wenden, und durch sie ihren Muth stärken und stählen lassen. Denn ältere Zimmerleute gehen sicher und unerschrocken auf den höchsten Balken der Häuser herum, während Anfänger, wollten sie es versuchen, sofort sich in Lebensgefahr begeben würden.

Gerson – Sündenfall

Hüten wir uns, daß wir es in unserer Noth nicht wie kleine Kinder machen, wenn sie gefallen sind. Diese werden oft erbittert auf sich selbst, und schlagen unwillig und boshaft mit dem Nacken auf die Erde; sie beklagen ihren Fall, aber sie beklagen ihn nicht recht, weil sie allein auf ihre Schwäche zürnen, und meinen, sie wären stark genug, immerfort zu stehen. So geschieht es auch, daß wir den öffentlichen Verhältnissen, daß wir uns und unserm Nächsten zürnen, und nicht zu dem uns wenden und Hülfe von ihm erflehen, der uns allein aus Angst und Trübsal erretten kann; gleichwie das gefallene Kind den Vater oder die Mutter oder den Aufseher demüthig um Hülfe bitten sollte. Es ist uns gut, wenn Alles, was wir hier sehen, uns zur Last und Beschwerde wird. Warum dieß? Damit wir seufzend mit dem Propheten sprechen lernen: Wer giebt mir Taubenfittige, daß ich auffliege und Ruhe finde?

Gerson – Trübsal

Das Unglück des Lebens ist eine Hand, die uns aus der Tiefe der irdischen Gedanken emporhilft. Man lernt den Namen des Herrn recht anrufen und empfinden, daß er nahe ist denen, die ihn anrufen. Denn kann die Taube des Geistes nirgends mehr auf Erden den Fuß ihrer Sehnsucht feststellen, so kehrt sie zur Arche der Andacht zurück, und je mehr ringsum die Gewässer wachsen, desto höher wird sie gehoben. Wie mit dem Wetzsteine der Stahl geschärft und glänzend gemacht wird, wie mit Wermuth die Kinder der Mutterbrust entwöhnt werden, wie man Gold im Feuerofen läutert, also wird die Seele durch Trübsal vervollkommnet, und sie lernt sprechen: Siehe, auch bei der bittersten Bitterkeit bin ich in Frieden!

Gerson – Nachfolge

Ist Jemand zu einem Laster besonders geneigt, so strebe er der entgegengesetzten Tugend mit Eifer nach. Wer leicht heftig und erbittert wird, meide die Gelegenheiten zum Zorn und suche gleichsam mit Gewalt in Ruhe und Sanftmuth zu verbleiben. Wer ungeduldig ist im Leiden, der übe sich in der Betrachtung der Beispiele der Väter, zumeist Christi und der Märtyrer. Wer zu karg ist, versuche mildthätig, wer zu bedenklich ist, freieren Sinnes zu werden. Alles, wonach der Wille ohne vorhergegangene Ueberlegung mit einer gewissen Hast greift, mag es noch so gut scheinen, muß für verdächtig gehalten werden, denn solche Antriebe gehen meist von der Sinnlichkeit aus und der böse Feind hat sein Spiel darin. Es steht geschrieben: Vor der, welche in deinem Busen schläft, hüte dich, das heißt, laß die Sinnlichkeit über deine Vernunft nicht, wie die Frau über den Mann, herrschen. Kannst du sie nicht völlig überwinden, so widerstehe ihr wenigstens immerfort; solcher Streit und Kampf wird dir vor Gott als Sieg angerechnet werden. Oft gilt es höher, Stand zu halten in der Schlacht, als sofort zu siegen; auch sieht der weiseste und gerechteste König, unser Gott, mehr auf den Willen als auf die Thaten seiner Streiter.