Die Liebe erleuchtet die Vernunft, reinigt das Gewissen, erheitert das Herz; die Liebe zeigt Gott. Eine Seele, in der die Liebe wohnt, wird vom Stolze nicht aufgeblasen, vom Neide nicht verzehrt, vom Zorne nicht zerrissen, vom Geize nicht verblendet; immer ist sie rein und keusch, ruhig und fröhlich, friedlich, gütig und bescheiden. In wem Gottes Liebe wohnt, der denkt immer, wie er die Welt verlassen, wie er zum Himmel gelangen, wie er den wahren Frieden finden könne. Mag er gehen, mag er sitzen, mag er wirken, mag er ruhen, mag er thun, was er will, sein Herz bleibt bei Gott. Schweigend gedenkt er Gottes, redend wünscht er nichts anderes als von Gott und Gottes Liebe zu reden. Alle ermahnt er zur Liebe und Allen empfiehlt er die Liebe, Allen beweist er nicht bloß mit Worten, sondern auch mit der That, wie süß die Liebe Gottes und wie bitter und trübe die Liebe der Welt ist. Er verlacht dieser Welt Pracht, schilt ihre Sorge, zeigt, wie thöricht es ist, auf vergängliche Dinge zu vertrauen. Er staunt über die Blindheit der Menschen, die Solches lieben, er meint, daß Allen süß sein müßte, was ihm schmeckt, daß Alle sehen müßten, was er sieht. So komm denn, du selige Liebe, auch zu uns, mache unsere Sehnsucht weit, mache unser Herz breit, daß es Gott als Gast und Bewohner in sich aufnehmen kann.
Hugo von St. Victor: Liebe
Es ist etwas Großes um die Liebe. Es verliert, was er lebt, wer nicht liebt. Wo die Liebe eintritt, da gewinnt sie alle andern Empfindungen und nimmt sie gefangen. Die Liebe genügt und gefallt um ihrer selbst willen, sie ist Verdienst und Lohn, Same und Frucht zu gleicher Zeit. Die Liebe macht aus zweien Einen Geist, bewirkt, daß sie dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen. Die Gott liebende Seele wird von Sehnsucht getragen und gehoben, sie schwingt und stiehlt sich gleichsam aus dem Körper heraus, wenn sie seine unaussprechliche Güte kostet. Die Liebe vergißt Ansehn und Würde, und weiß nichts von Verdiensten. Die Liebe giebt Vertrautheit mit Gott, die Vertrautheit Kühnheit, die Kühnheit Genuß, der Genuß Verlangen. Die Liebe weckt‘ die Seele aus dem Schlafe, mahnt und erweicht sie und verwundet das Herz. Die Liebe erhellt das Dunkle, öffnet das Verschlossene, erwärmt das Kalte, besänftigt den rauhen, zornbegierigen und ungeduldigen Sinn, vertreibt die Laster, unterdrückt fleischliches Gelüst, bessert die Sitten. Das Alles thut die Liebe, wann sie da ist; weicht sie aber, so wird die Seele lau und schlaff, gleich als wenn man einem kochenden Geschirr das Feuer entzieht.
Hugo von St. Victor: Umkehr
So spricht der himmlische Vater zu uns gefallnen Menschen: Werdet, wie der Sohn meiner Liebe! In ihm und durch ihn liebe ich Alles, nach ihm prüfe und richte ich Alles. Seid ihr nun durch die Sünde von seinem Bilde abgewichen, so kehret auf seinen Rath wiederum zurück. Ein Bote großen Raths wird euch gesandt, derselbe, der mit mir euer Schöpfer war, kommt nun, Mensch geworden, als euer Erlöser zu euch. Er, der bei der Schöpfung euch Herrlichkeit gab, kommt nun, euch Heiligkeit zu geben. Höret ihn! Er ist euer Urbild, euer Arzt, euer Beispiel. Höret ihn! Rühmlicher wäre es gewesen, immer ihm ähnlich geblieben zu sein, nicht minder rühmlich aber wird es sein, zu seinem Bilde zurückzukehren. O Mensch, wie magst du deine Unwissenheit vorschützen? Siehe, deine eigne Natur straft dich Lügen. Du weißt, wer du bist, woher du stammst, daß du von dem guten Schöpfer nicht böse geschaffen worden bist, und du flehest nicht zu dem, der dich gemacht hat, daß er dich erlöse? Zweifle nicht an seiner Macht: siehe seine Werke, wie groß sie sind! Zweifle nicht an seiner Weisheit: siehe seine Werke, wie schön sie sind! Zweifle nicht an seiner Güte: siehe seine Werke, wie gut sie sind! Er zeigt dir also in seinen Geschöpfen, was er zu deiner Erlösung vermöge. Er zeigt dir aber auch zugleich, welchen furchtbaren Richter du in ihm zu erwarten hast, wenn du ihn nicht als Erlöser an, nimmst. Denn Niemand kann ihm widerstehen, dem Allmächtigen; Niemand kann ihn täuschen, den Allwissenden; Niemand kann ihn bestechen, den Heiligen.
Hugo von St. Victor: Märtyrer
Betrachten wir die Märtyrer der Kirche und lassen wir unser träges, kaltes Herz an ihrer Liebe warm werden! Was haben sie gelitten und überwunden! Alles, was nur dem menschlichen Herzen empfindlich sein kann, ist über sie ergangen, um sie abwendig zu machen. Aber die Liebe zog sie. Sie gingen unaufhaltsam ihrem Ziele entgegen. Hinter sich die Welt, vor sich Gott, in der Mitte die Henker und Martern. So tief ihr Herz von der Liebe verwundet war, so tief verachteten sie die Wunden, die dem Fleische geschlagen wurden und bekannten sterbend, was ihnen im Leben das Theuerste gewesen war. O welche Seligkeit muß ihnen die Liebe gegeben haben, die so unauslöschlich in ihren Herzen brannte! Und nun sind sie dahin gekommen, wo sie die Liebe selbst aufgenommen hat. Wie Wasserströme stürmten die Leiden der Welt auf sie ein. Aber viele Flüsse und viele Wasser vermochten die Liebe nicht auszulöschen.
Hugo von St. Victor: Schöpfung
Siehe, o Herr, ich bin, weil Du mich geschaffen hast, und daß Du mich schaffen und unter Deine Kreaturen zählen wolltest, hattest Du vorher bestimmt von Ewigkeit, noch ehe Du den Himmel ausspanntest und die Tiefen legtest; noch ehe die Erde gemacht, die Berge gegründet und die Quellen geöffnet waren. Und wie komme ich dazu, gütigster Herr, höchster Gott, gnädigster Vater, wie habe ich Solches verdient? Ich war nicht und Du schufest mich, ich war Nichts und Du riefest mich aus dem Nichts ins Dasein. Du hättest mich zu einem Wassertropfen, einer Feuerflamme, einem Vogel oder Fisch, zu einer Schlange oder irgend einem wilden Thiere, zu einem Steine oder Holze machen können. Aber nein, Deine Güte hat mich über alle Dinge gesetzt, hat mir nicht bloß Leben und Gefühl, sondern auch Verstand gegeben; sie hat mich zur würdigsten Kreatur erhoben und nur um ein Geringes unter die Engel gestellt.
Hugo von St. Victor: Gottes Allmacht in der Schöpfung
Welcher Verstand begreift die Macht, die dazu gehört, auch nur Eins, und wäre es auch das Kleinste, aus Nichts zu schaffen! Wie unendlich groß muß also die Macht sein, die so unendlich Vieles schuf! Zähle die Sterne des Himmels, den Sand am Meere, den Staub der Erde, die Tropfen des Regens, das Gras des Feldes, die Blätter und Früchte der Bäume. Wie unendlich groß muß aber auch die Macht sein, die so unendlich Großes schuf! Messe einer die Masse der Berge, den Lauf der Ströme, die Weite der Ebenen, die Höhe des Himmels, die Tiefe der Meeresgründe! Und welche Weisheit zeigt sich in der Zusammenstellung und Anordnung der einzelnen Dinge! Nicht nur das Aehnliche steht in Eintracht bei einander, sondern auch das Verschiedene und Widersprechende trifft gleichsam in einem Freundschaftsbunde zusammen. Was ist sich mehr entgegengesetzt, als Feuer und Wasser? Und doch hat die Vorsehung beide im Naturganzen so gestellt, daß sie nicht nur das gemeinsame Band desselben nicht zerreißen, sondern selbst Allem, was entsteht und wächst, Lebenskraft und Nahrung geben. Siehe ferner, wie die sämmtlichen Glieder des menschlichen Körpers so miteinander verbunden sind, daß keines gefunden wird, das nicht dem andern zu helfen schiene. Ja, Alles greift in der ganzen Welt zweckmäßig und ohne Verwirrung in einander. Blicke hinauf gen Himmel, herab auf die Erde. Dort oben hat Gott das Licht geschaffen, das herunterleuchtet. In der Luft hat er Winden und Wolken den Weg bereitet, damit sie in ihrer Unruhe den Regen über die Länder ausschütteten. In die Tiefe der Erde barg er Wassermassen, die sich auf seinen Wink durch die Abgründe hin und her wälzen sollten, wie es das Gleichgewicht des Ganzen forderte. Von der Luft läßt er die Vögel getragen werden, die Fische taucht er ins Meer, das Land erfüllt er mit allerlei Thieren und Gewürmen. Einigen Gegenden gab er reiche Baumfrüchte, andern viele Weinberge, noch andern fette Gemüse, gedeihliche Viehzucht, heilsame Kräuter, Künste und Gewerbe, so daß es keine Gegend giebt, die nicht vor der andern Besonderes und Eigenthümliches besäße, aber auch keine, die nicht etwas Neues von der andern erhalten könnte. Dazu hat die weise Vorsehung das, was der Mensch nothwendig bedarf, offen und allgemein zugänglich gemacht, was hingegen nur dem Glanze dient, tief in den Schoos der Erde verborgen.
Macarius: Bibellese
Lies fleißig, betrachte und lerne mehreres aus dem Evangelium und andern Büchern der heiligen Schriften auswendig; welche Gedanken dich dann auch überfallen; so sieh dich hienieden nicht um, hebe höher deinen Blick und sogleich wird dir Hülfe vom Herrn werden!
(Apophthegm. ex Cotelerio Monumen. eccles. gr. Tom. I.)
Macarius: Nachfolge
Die, welche dem Worte Gottes Folge leisten und gute Früchte bringen, zeichnen sich aus … durch diese Werke: …. Durch Milde, durch anhaltendes Gebet, durch achtsames Lesen der göttlichen Schriften, durch Glauben, Demuth, Liebe…
(lib. de patient. et. discret.)
Macarius: Bibellese
Bei welchen das göttliche Gesetz tiefen Eindruck im Herzen gemacht hat, deren Verstand ist erleuchtet, und dann, von beständiger Sehnsucht nach unsichtbaren Gütern ergriffen, können sie mit unüberwindlicher Kraft der Versuchung zum Bösen Widerstand leisten: wer aber mit dem Worte Gottes nicht gerüstet und in den heiligen Schriften nicht erfahren ist, der wähnt mit eitlem Stolze, aus eigener Kraft der Versuchung zur Sünde widerstehen zu können.
(Homil. 25)
Macarius: Nutzen der Bibellese
Wie, wenn ein König durch einen Befehl allen, welchen er Freiheitsbriefe und Gnade ertheilen will, dieses bekannt machen läßt: Eilet, zu mir zu kommen und Gnade zu empfangen! Falls sie aber nicht kommen und nicht Theil nehmen wollen an der Gnade; so nützt es ihnen nichts, den Befehl zu lesen, vielmehr machen sie sich der Strafe des Todes schuldig, indem sie sich weigern zu kommen, und sich von der Hand des Königs begnadigen zu lassen: auf gleiche Weise sind die heiligen Schriften, wie Briefe von Gott an die Menschen erlassen, worinn er ihnen befiehlt, daß seine Verehrer, die im Vertrauen ihn bitten, himmlische Wohlthat erhalten sollen von seinem göttlichen Wesen … Wenn nun der Mensch nicht kommt, nicht bittet, nicht annimmt; so wird das Lesen der heiligen Schriften ihm keinen Nutzen gewähren; vielmehr macht er sich dadurch sträflich; weil er die Wohlthat des Lebens, ohne die es unmöglich ist, des unsterblichen Lebens theilhaftig zu werden, von dem König dort oben nicht annehmen will.
(Homil. 39.)