Claudius, Matthias – Religion

Der Geist der Religion wohnt nicht in den Schalen der Dogmatik, hat sein Wesen nicht in den Kindern des Unglaubens, noch in den ungeratenen Söhnen und übertünchten Gräbern des Glaubens, lässt sich wenig durch üppige glänzende Vernunftsprünge erzwingen, noch durch steife Orthodoxie und Mönchswesen. Und, für Kinder, deren Herz durch die Religion gebessert werden soll, ist freilich der simpelste und kräftigste Ausdruck der beste. Wenn ich bei der Quelle stehe, warum soll ich nicht aus der Quelle trinken; so bin ich doch sicher vor dem Unrat am Eimer. Es ist Ehre für einen Mann und für ein Volk, wenn es strenge und eifrig für seine Religion ist, aber es ist doch auch Billigkeit, zu untersuchen ehe man eifert.

Adolf Stöcker – Die Religion

Die Religion gehört ins Kämmerlein, gewiß, aber sie gehört auch in die Kammer, in die erste und in die zweite Kammer. Man könnte, wenn man nur wollte, viel mehr glückliche Menschen auf Erden haben, wenn mehr Leute ihre Pflicht täten und ihren Nächsten liebhätten, Und gerade das Christentum hat alle Gedanken, um die Politik gerecht und das soziale Leben richtig zu gestalten.

d’Espagne, Jean – Vom Wesen der Religion

Insgemein glaubt man, daß die ganze Religion im Thun und in der Ausübung guter Werke bestehe, daß das ganze Christenthum auf der Lehre von den guten Werken beruhe, oder, daß wenigstens die christliche Sittenlehre den vornehmsten Theil und den eigentlichen Grund der christlichen Religion ausmache. Diese Grundsätze sind sehr scheinbar. Die Folge davon ist, daß man den Glauben als eine unnütze Eigenschafft vorstellt, auf welche eben nicht viel ankomme. Die schlechtesten Leute sind oft sehr beredt über diesen Punct, und halten den guten Werken und der Tugend herrliche Lobreden; und in der That muß man sie auch, der Lehre Jesu gemäß, empfehlen; nur nicht auf Unkosten des Glaubens. Aber es ist wirklich ein viel größerer Irrthum, als man glaubt, wenn man sich einbildet, die Religion sey eine bloße Sittenlehre. Die Religion zeigt uns nicht blos, was wir zu thun haben, sondern hauptsächlich, was Gott für uns gethan habe.

Dieses ist der eigentliche und vornehmste Charakter, welcher die christliche Religion von allen andern Religionen in der Welt unterscheidet. Denn es giebt keine einzige falsche Religion, die nicht einige schöne Sittenlehren vortrage. Aber den Unterricht, was Gott an uns gewendet habe, namentlich im Werke der Erlösung, giebt uns keine Religion, als die christliche. Darinne liegt eigentlich das Wesentliche des wahren Christenthumes; denn alle andere Religionen führen, ihrem Vorgeben nach, dadurch zur Seligkeit, daß sie den Menschen zeigen, was er zu thun habe: aber unsre Religion stellt unsre ganze Seligkeit als ein Werk Gottes vor, als eine unverdiente Gnade und Barmherzigkeit, die Gott dem Menschen erzeiget. Das größte Verderben, das in die Kirche eingerissen ist, hat mit diesen schädlichen Grundsätzen angefangen, welche die Sittenlehre für das Wesentlichste in der ganzen Religion ansehen. Denn daraus ist entstanden, daß das ganze Christenthum in gewiße Gebote und Verbote gesetzt worden ist. Es ist der Ehre Gottes nachtheilig, wenn man glaubt, daß die Lehre von den Werken den Grund der ganzen Religion ausmache; denn unsre Seligkeit, das Ziel, wohin unsre Religion uns leiten will, ist auf dasjenige gegründet, was Gott für uns gethan hat, und nicht auf dasjenige, was wir gutes thun. Wenn die hohe Würde einer Lehre von der Vortrefflichkeit ihres Gegenstandes abhänget, so ist diese Lehre, welche von Gott selbst und seinen großen Thaten handelt, viel erhabner und ehrwürdiger, als diejenige, welche von unsern Werken handelt. Ueberhaupt kann die letztere schlechterdings nicht ohne die erstere bestehen. Alle wahre Tugend ist eine Folge unsrer Heiligung, und unsre Heiligung ist ein Werk des uns heiligenden Gottes.

Harnack, Adolf – Wert der Religion

Die Religion, nämlich die Gottes- und Nächstenliebe ist es, die dem Leben einen Sinn gibt; die Wissenschaft vermag das nicht. – Es ist eine herrliche Sache um die reine Wissenschaft, und wehe dem, der sie gering schätzt oder den Sinn für die Erkenntnis in sich abstumpft! Aber auf die Fragen nach dem woher, Wohin und Wozu gibt sie heute sowenig eine Antwort wie vor zwei- oder dreitausend Jahren. Wohl belehrt sie uns über Tatsächliches, deckt Widersprüche auf, verkettet Erscheinungen und berichtigt die Täuschungen unserer Sinne und Vorstellungen. Aber wo und wie die Kurve der Welt und die Kurve unseres eigenen Lebens beginnt – jene Kurve, von der sie uns nur ein Stück zeigt – und wohin diese Kurve führt, darüber belehrt uns die Wissenschaft nicht. Wenn wir aber mit festem Willen die Kräfte und Werte bejahen, die auf den Höhepunkten unseres inneren Lebens als unser höchstes Gut, ja, als unser eigentliches Selbst ausstrahlen, wenn wir den Ernst und den Mut haben, sie als das Wirkliche gelten zu lassen und nach ihnen das Leben einzurichten, und wenn wir dann auf den Gang der Geschichte der Menschheit blicken, ihre aufwärts sich bewegende Entwicklung verfolgen und strebend und dienend die Gemeinschaft der Geister in ihr aufsuchen – so werden wir nicht in Überdruß und Kleinmut versinken, sondern wir werden Gottes gewiß werden, des Gottes, den Jesus Christus seinen Vater genannt hat, und der auch unser Vater ist.

Der Weg zum Glück
Ein Hausbuch für die christliche Familie
von Pfarrer Gustav Hofelich
C. Rieger’sche Verlagsanstalt. Stuttgart – München