Die liebe Christenwelt hält so fest an ihrem Sinn, dass sie alle Geheimnisse und Wahrheiten nachschwätzt, ob sie gleich allenfalls nicht glaubt. Wenn’s denn danach zum Ernst kommt, und sie wollen uns über dem und jenem verketzern, so findet sich, dass die sogenannte Ketzerei ihre alte Lehre ist, die schon hundertmal in Büchern gestanden hat, die schon tausendmal gepredigt worden ist, die schon hundert und abermals hundertmal in der Kirche gesungen worden ist, es hat nur Niemand darauf geachtet.
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Zinzendorf, Nikolaus von – Mit seiner Seligkeit zufrieden sein
Lasst uns nicht eher völlig selig und mit unserer Seligkeit nicht eher zufrieden sein, bis wir wahrnehmen, dass sich zwischen dem Lamm und uns nichts mehr sehen kann. Wenn wir erwachen, so liegen wir noch in seinen Armen, wenn wir gehen, so fühlen wir um die Achseln sein Umarmen, und im Herzen sein Erbarmen, und wenn wir uns wieder zur Ruhe legen, so ist Er unser Ober- und Unterbett und Kissen und Alles, in Ihm leben, weben, und sind wir.
Zinzendorf, Nikolaus von – Den Satan los werden
Der beste Weg, wie man des Satans los wird, dass, wie Johannes sagt, der Arge einen nicht mehr antasten kann, nicht mehr nahe kommen kann, ist die Nähe der Seele bei ihrem Haupt. So lange aber eine Seele und der Heiland auseinander bleiben, so mag sie so christlich, so vollkommen, so andächtig, so wachsam, so ein fleißiger Beter sein, so einen Hass gegen das Böse haben; das sind alles nur Spiele, und Reizungen für den Satan, seine böse Lust an uns auszuüben, und wenn er uns nicht zu sich ziehen kann, uns wenigstens zu peitschen, zu drücken, zu schlagen und zu peinigen.
Zinzendorf, Nikolaus von – Macht der Vergebung
Wenn aber das oft geschieht, wenn wir so vielmal vor dem Heiland hinfallen, ohnmächtig und arm, und der Satan muss es zu zehn und zwanzigmal erfahren, dass der Heiland bei uns augenblicklich wieder zu haben ist, so wird Er es endlich müde, gibt’s auf und bleibt einem vom Leib. So kommen wir nicht wegen unserer Tapferkeit und Heiligkeit, sondern wegen der Furcht, die der Satan vor seinem Schöpfer hat, endlich dazu, dass er uns aus dem Weg geht. Wir sind doch immer Leute, die er werfen, sichten, zu Schanden machen könnte, denn wir sind Fleisch; aber seine Staatsklugheit erlaubt es nicht, sein satanischer Verstand lässt es nicht zu, er sieht nicht genug damit zu gewinnen, sieht aber, viel zu verlieren, er sieht, eine Seele kommt immer näher zu dem Heiland, sie schreit immer mehr nach seinen Herzen, da denkt der Satan: was hilft mir meine Arbeit, ich jage die Seelen nur immer mehr in Jesum hinein, das lass ich bleiben.
Zinzendorf, Nikolaus von
So wenig ein Kranker oder ein Mensch, der in Ohnmacht liegt, sich besinnt, in wessen Händen er ist, wie aufgeputzt er ist, oder nicht, so wenig ein Mensch in seinen unsinnigsten Schmerzen sich sinnen kann, auf die Lage, in der er sich gerade befindet, sondern er lässt sich eben sehen wie er ist, und lässt sich helfen, wie man kann; eben so muss man sich nicht erst verbessern wollen, man muss nichts an sich selbst suchen in Stand zu sehen, dass es ein besseres Aussehen, einen edleren Schein erhalte, sondern in eben der elendesten Figur, in der man gerade ist, ganz natürlich zu Ihm kommen, und seine Treue, sein Verdienst vorhalten, dass Er sich auf ewig zu uns versprochen hat; so steht Er gleich bei seinen Worten, und seine bloße Gegenwart, sein bloßes Herzunahen treibt unsere Feinde aus unsern Augen und von unsern Grenzen weg.
Zinzendorf, Nikolaus von – Augenblick
Wenn wir das allemal hätten, und die seligen Stunden und Minuten, da wir nichts als Ihn fühlen, merken und gewahr werden in dieser gegenwärtigen Hütte, unveränderlich wären, so hätten wir das ewige Leben da, und brauchten kein anderes. Aber das ist das Unangenehme dieses gegenwärtigen Laufs, so lange wir noch in unserem Leib nicht nach können, wo Er ist, (Er kann uns überall nach, aber wir Ihm nicht) dass wir zu Stunden, zu Augenblicken, uns selbst abwesend von Ihm vorkommen, dass wir Ihn vergessen können, und in unserem Gemüt gestört und verwirrt werden. Und wenn es der Satan dahin bringen kann, dass es Stunden und Tage lang währt, so hat er viel gewonnen, und seine besondere Freude mit uns. Und wir jammern über die Verrückung in unsern Herzen, darüber uns Niemand zufrieden stellen kann. Aber da ist der kürzeste und beste Rat, dass man den Augenblick umlenken und wieder zurückkommen darf, wo man war.
Zinzendorf, Nikolaus von – Die Nähe des Heilandes
Der Heiland ist uns noch näher, als uns unsere Seele ist. In Ihm leben, weben und sind wir. Er ist das wahre Element der Kinder Gottes. Ich habe aufgehört zu leben, sagt Paulus, aber Christus lebt an meiner Stelle. Ich habe mich ganz in den Sohn Gottes hineingeglaubt, so dass ich nicht mehr weiß, bin ich’s auch noch, oder ist Er es allein.
Zinzendorf, Nikolaus von – Seligkeit im Heiland
Wenn einem die ganze Welt wegstürbe, wenn einem alle Geschwister, alle vertraute Freunde genommen würden, wenn man weder in noch außer sich eine Hilfe mehr fände, wenn alle Begnadigungen und Erquickungen, die uns der Vater ins Herz gelegt hat, wegfielen, so würde uns doch immer nichts abgehen, so lange wir den Heiland hätten, so wären wir noch so selig, als wir im ersten Moment unsers geistigen Lebens, unserer Absolution und Begnadigung waren. Wir müssen uns nur die erstaunliche Weitläufigkeit ersparen, des Heilands Blick in einer mathematischen Distanz (Entfernung) von uns zu denken. Denn das ist die größte geistliche Absurdität, die sein kann.
Das Hemd auf dem Leib ist uns nicht näher, als Er, das Herz im Leibe ist uns nicht näher, als Er. Und David hat entweder etwas gesagt, das keinen Sinn und Verstand hat, wenn er spricht: Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so habe ich doch noch was; wenn ich dich habe, so fehlt es mir doch nicht an Trost; entweder das ist Unsinn, oder mit dem Verlust Leibes und Lebens, und aller seiner Gemüts- und Seelenkräfte muss noch nicht Alles verloren sein, so lange man nur seinen Heiland noch hat und weiß.
Zinzendorf, Nikolaus von – Zeugen der Wahrheit
Es hat in den dicksten dunkelsten Zeiten Seelen gegeben, die selig geworden sind, die immer so ein genugsames Licht, eine notdürftige Klarheit für sich gehabt haben, die sie von der allgemeinen Finsternis unterschieden hat. Wer ihre Schriften liest, wer ihre Reden, wer selber ihre Leiden betrachtet, der findet, dass sie eine andere Idee in den heilbringenden Materien, in den zur Seligkeit gehörigen Stücken gehabt haben, als der Pöbel und die Klerisei um sie herum. Man nennt sie Zeugen der Wahrheit.
Zinzendorf, Nikolaus von – Selig werden
Wir machen niemals den Anfang, selig zu werden. Wir machen wohl zuweilen den Anfang, unseres mühseligen Lebens müde zu werden, unseres Sündenelendes satt zu sein, und über unsern Zustand traurig zu sein. Aber wir machen niemals den Anfang, von uns selbst ans selig sein zu denken. Denn was uns aus den Büchern Gesprächen, Predigten, und allem dem, was wir von Kindes Beinen an hörten, von Zeit zu Zeit ins Gedächtnis kommt, das ist nicht auf unserm Boden gewachsen, und wird also auch nicht auf unsere Rechnung geschrieben.