Hamann, Johann Georg – Wer den Geist Gottes hat, versteht die Schrift

Wie der Geist Gottes die kleinsten Ordnungen, welche in seinem Dienst gemacht werden, aufgezeichnet und die kleinsten Umstände anmerkt! Es ist eben dies die Art, wie er in unseren Seelen wirkt. Wer den Geist Gottes in sich fühlt, wird ihn gewiß auch in der Schrift fühlen. Wie er die kleinsten Umstände, die uns begegnen, anwendet, um die Menschen zu erbauen, aufzurichten, zu erfreuen, zu trösten und zu warnen! So wahr ist es, daß seine Absicht gewesen, keinen andern als Gläubigen, als wahren Christen durch sein göttliches Wort zu gefallen. Der Ungläubige geht ihn nichts an, er mag so einfältig und so gelehrt sein wie er will. Er ist versiegelt für ihn. Der Gläubige ist sein Vertrauter. Er läßt sich schmecken von dem einfältigsten wie von dem tiefsinnigsten Verstande mit gleicher Wollust, mit gleichem Reichtum, himmlischer Wahrheit und übernatürlicher Gnade.

Hamann, Johann Georg – Warum die Bibel in Gleichnissen redet

Die Schrift kann mit uns Menschen nicht anders als in Gleichnissen reden, weil alle unsere Erkenntnis sinnlich und der Verstand und die Vernunft die Bilder der äußeren Welt allenthalben zu Zeichen geistiger und höherer Begriffe macht. Außer dieser Betrachtung sehen wir, daß es Gott gefallen hat, seinen Rat mit uns Menschen zu verbergen, uns so viel zu entdecken, als zu unserer Rettung und zu unserem Trost nötig ist, zu gleicher Zeit aber auf eine Art, die die Klagen der Welt, die Herren derselben, hintergehen sollte. Daher hat Gott verächtliche, ja Undinge zu Werkzeugen seines geheimen Rates und verborgenen Willens gemacht.

Ich wiederhole mir selbst diese Betrachtung so oft, weil sie mir ein Hauptschlüssel gewesen, Geist, Hoheit und Geheimnis, Wahrheit und Gnade da zu finden, wo der natürliche Mensch nichts als eine Redensart oder Eigenheit der Grundsprache, der Zeiten, des Volkes, kleine Wirtschaftsregeln und gemeine Sittensprüche findet.

Johann Georg Hamann – Vom Reichtum der Bibel

Die Natur ist herrlich. Wer kann sie überblicken? Wer versteht ihre Sprache? Sie ist stumm, sie ist leblos für den natürlichen Menschen. Aber die Schrift, Gottes Wort, ist herrlicher, vollkommener. Sie ist die Amme, die uns die erste Speise gibt und uns stark macht, allmählich auf unseren eigenen Füßen zu gehen; die das Zauberband des Satans über unseren eigenen Sinnen und unserer Vernunft hinwegnimmt; die das Geräusch der wilden Leidenschaften in unserer Seele, von dem wir betäubt werden, daß wir uns selbst nicht unserer bewußt sind, in Stille, in Freude, in ewigen und himmlischen Frieden verwandelt. Gott läßt seine Güte die Menschen sehen und schmecken in tausend Gestalten, in tausend Verwandlungen, die nichts als Schalen seiner Güte sind, die durch die ganze Schöpfung als der Grund ihres Seins, ihres Segens fließt. Lasset uns die ganze Schrift als einen Baum ansehen, der voller Früchte, und in jeder einzelnen Frucht ein reicher Same eingeschlossen ist, in dem gleichfalls der Baum selbst und die Früchte desselben liegen. Dies ist der Baum des Lebens, dessen Blätter die Völker heilen und dessen Früchte die Seligen ernähren sollen.

Johann Georg Hamann – Gott hat reichen Vorrat

Gott hat unseren Seelen einen Hunger nach Erkenntnis, ein Verlangen zu wissen, eine Unruhe, wenn wir uns an einem finsteren Ort befinden – er hat uns einen Durst der Begierden gegeben, die lechzen, die schreien nach einem Gut, das wir so wenig zu nennen wissen wie der Hirsch das frische Wasser, das wir aber erkennen und in uns schlucken, sobald wir es antreffen. So wie wir für unseren zeitlichen Hunger und Durst einen reichen Vorrat in der Natur finden, daß für jeden Geschmack gesorgt ist, so hat Gott gleichfalls Wahrheit und Gnade, Brot und Wasser, Manna und Wein zur Nahrung und Stärkung unserer Seele zubereitet.

Jedes Wort, das aus dem Munde Gottes geht, ist eine ganze Schöpfung von Gedanken und Bewegungen in unserer Seele; Weisheit, Verstand, um den uns die Teufel beneiden, der uns ehrwürdig in ihren Augen macht.

Das Wort Gottes ist gleich jenem flammenden Schwert, das allenthalben sich hinkehrt, oder gleich dem Licht, das alle Farben in sich hält.

Die Heilige Schrift sollte unser Wörterbuch sein, unsere Sprachkunst, worauf alle Begriffe und Reden der Christen sich gründen und aus welchen sie beständen und zusammengesetzt würden.