Kierkegaard, Sören Aabye – Gibt es eine absolute Pflicht gegen Gott?

Das Ethische ist das Allgemeine und als solches wiederum das Göttliche. Man hat deshalb recht zu sagen, daß jede Pflicht im Grunde Pflicht gegen Gott ist; aber wenn man nicht mehr sagen kann, so sagt man zugleich, daß es eine Pflicht gegen Gott eigentlich nicht gibt. Die Pflicht wird Pflicht dadurch, daß ich sie auf Gott beziehe; aber durch die Pflicht selbst trete ich in kein Verhältnis zu Gott. So ist es z. B. Pflicht, seinen Nächsten zu lieben. Es ist Pflicht dadurch, daß es auf Gott bezogen wird; aber in der Pflicht trete ich nicht in ein Verhältnis zu Gott, nur in ein Verhältnis zu dem Nächsten, den ich liebe. Sage ich also in diesem Zusammenhang, daß es meine Pflicht ist, Gott zu lieben, so ist das eigentlich nur eine Tautologie, soweit ,,Gott“ hier in einem ganz abstrakten Sinne als das „Göttliche“, d.h. das „Allgemeine“, d.h. die „Pflicht“ genommen wird. Das gesamte Dasein des Menschengeschlechts rundet sich auf diese Weise wie eine Kugel in sich selbst ab; und das Ethische ist zugleich das Begrenzende und das Ausfüllende. Gott wird zu einem unsichtbaren verschwindenden Punkt, zu einem ohnmächtigen Gedanken; seine Macht liegt nur in dem Ethischen, das das Dasein vollkommen ausfüllt.

Sofern also jemand auf den Gedanken kommen sollte, Gott auf eine andre als die hier angegebene Weise zu lieben, ist er überspannt. Er liebt ein Phantom, das ( wenn es nur soviel Kraft besäße, daß es reden könnte) zu ihm sprechen würde: „Ich begehre deiner Liebe nicht, bleibe nur da, wohin du gehörst. Sofern jemand auf den Einfall kommen sollte, Gott anders zu lieben, würde diese Liebe verdächtig werden – wie die Liebe etwa, von der Rousseau redet: die Liebe, mit der ein Mensch die Kaffern liebt, statt seinen Nächsten zu lieben.