Nikolaus von Zinzendorf – Sünde haben

Nichts ist doch von allen dem, was Leib und Seele ermattet, so fürchterlich unangenehm, als dass man Sünde hat. (Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Es ist daher eine ausgemachte Sache, dass wir sie alle haben.) Wenn sich ein Mensch in seiner ganzen Schlechtigkeit kennen lernt, gleich nach der Vergebung der Sünden in sein Naturverderben ganz hinein sieht und verstehen lernt, was Sünde haben heißt, was die Fähigkeit zu sündigen auf sich hat, so macht ihm das lange Nächte, böse Stunden, ja Tage und Wochen. Aber es bringt eine friedenvolle Frucht der Gerechtigkeit. Das Verdienst des Leidens Jesu hilft uns unfehlbar durch; sobald man die angeborne Seuche in der tiefsten Wurzel angreift. Alles, was herauskommt und sich sehen lässt, und wenn es nur kleine Spitzchen sind, kann man abzupfen und oft mit der Wurzel ausreißen. Darum bleibt aber doch die Erde noch da, und ihre Fähigkeit zu tragen, bis man wieder zu Erde wird. Und der Seele, die sich von ihrem Herrn abbringen ließ, und von der Irdigkeit was angenommen hat, ist darin so wenig zu trauen als den Gliedern; man darf ihr nie zu viel nachlassen, wenn man Ein Geist mit Ihm geworden ist. Es erfordert daher Fleiß und Treue.