Johann Albrecht Bengel – Fremdlingschaft.

Christen verachten, was gegenwärtig und eitel ist. So sieht man sie aus der Welt ausgehen, durchhingehen, vorbeigehen. Ein Fremdling ist eben fremd; seine Sprache, Tracht, Aufzug kommt albernen Leuten lächerlich vor. Wer aber in der Welt bleiben will, kann Gott nicht lieben.

Christen lassen das Gegenwärtige fahren und geben sich aufs Zukünftige hin. Nichts ist, das sie aufhält, sie sterben leicht. Sie trachten nach dem, was zukünftig und unvergänglich ist, ob sie es schon nicht sehen in lauterer Einfalt des Glaubens, wie man wohl mit einander korrespondiert, ohne sich jemals gesehen zu haben.

Sieht der Gläubige in den Kalender, so wünscht er, dass einer von diesen Tagen der letzte wäre. Hört er von einem, der den Eingang gefunden, so wünscht er, mit zur Tür eingekommen zu sein. Gerade zu! Dem Ziel nach! Das ist die wundersame Ordnung, Sehnsucht und Freude des Christenstandes.

Johann Albrecht Bengel – Erdenlust und Himmelsfreude.

In dem natürlichen Menschen ist ein irdischer Sinn, der in den Kreaturen beständig Futter sucht für das Feuer, das in der Seele brennt; und der ebendeswegen ganz unersättlich ist in der Kreatur, und sich immer mehr von Gott entfernt. Er kann das Herz nicht in Liebe gegen Gott erheben. Wem aber Gottes Liebe und Freundlichkeit begegnet, dass er sich im Glauben an Jesum Christum frei machen lässt, der wird bald entwöhnt von allem Geschmack und Liebe an der Kreatur. Da ergibt man sich der Liebe in ruhigem Sinn. So kommen denn einer solchen Seele nicht mehr die himmlischen, sondern die irdischen Dinge als ein Traum vor; sie geht mit einer abgeschiedenen Seele, unaufgehalten, ungeschlagen dadurch hin.

Johann Albrecht Bengel – Zeitliche Gaben.

Die irdischen Dinge sind Gottes Geschöpfe, Güter und Gaben, an sich selbst gut, wenn man recht das mit umgeht, in guter Ordnung, mit Dankbarkeit, Mäßigkeit, Gerechtigkeit, so lang das dürftige Leben währet in dieser Pilgerschaft.

Aber wenn man darauf hinfällt, als ob dies die Hauptsache selbst oder die ganze Sache wäre, als ob Gott sonst nichts in seinen Schätzen hätte, womit er die Gerechten vergnügen könnte, als ob solcher Kram über alles ginge; wenn man daran hangen bleibt, und der unsichtbaren ewigen Güter darüber vergisst, und sich selbst mit solchen Kleinigkeiten abgefertigt achtet: so ist es eine große Torheit.

Für die Seele ist das alles keine Weide, und wenn bei denen, die etwas besseres wissen, der innere Mensch unter solchem Getöse und Strudel, darin sich die Welt freut, nur ungeschlagen davon kommt, so geht es noch gut ab.

Das Reich Gottes geht weit darüber hinaus. Kein Auge hat gesehen, kein Ohr hat gehört, in kein Menschenherz ist gekommen, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.

Johann Albrecht Bengel – Todesleben.

Gegen das himmlische Leben sind wir Alle tot. Wenn wir einen leblosen Körper und hingegen einen verklärten Leib sehen, und wir dazwischen in die Mitte gestellt sein sollten, so würden wir finden, dass unser Leib einem toten Körper ähnlicher sei, als einem verklärten Leibe.

Dieses irdische Leben ist ein Sterben, ja ein Tod. Ein Toter begräbt immer den andern. Dies sollte uns das irdische Leben bitter machen. Es ist eben ein Totengeschäft, ein Totentanz.

Johann Albrecht Bengel – Heimweh.

Es gibt eine Krankheit, die natürlichen Menschen durchaus unbekannt und auch bei den Frommen fast rar ist, nämlich das heilige Heimweh.

Wer in seiner Seele recht wach ist, wer bedenkt, wozu der himmlische Beruf uns auffordere, wie Andere, die vor weniger Zeit noch unter uns wandelten, sich schon bei jener seligen Schar befinden, dem muss es empfindlich fallen.

Die Menschen wissen es nicht einmal auf dieser Welt, wie dürftig dieses Leben sei, auch bei guten gesunden Tagen und reichem Vorrat. Wenn einem dabei recht wohl sein kann, so kommt es nur daher, weil er noch nichts besseres weiß. Die Menschen sind des Elends gewohnt und darin geboren.

Wenn einer schon bei jener seligen Schar gewesen wäre, und er sollte wieder in dieses Leben umkehren, da würde es ihm auch bei solchen Umständen, die aller Welt noch so vorteilhaft vorkommen, dennoch sehr fremde und beschwerlich sein. Doch ist einem Gläubigen nicht viel anders zu Mute.