Gellert, Christian Fürchtegott – Sonntagsheiligung

Wir gehen mit dem Sonntage zu leichtsinnig um, und ich bin überzeugt, eine frömmere Anwendung desselben sey zum Wachsthum in der Religion und Gottseligkeit ein unentbehrliches und zugleich das beste Mittel. An diesem Tage sich von allen irdischen Geschäften losreißen, sein Herz prüfen, zum Himmel erheben, dasselbe mit den Wahrheiten des Glaubens nähren und stärken, heißt es auf die ganze Woche stärken, und sich zur rechtschaffenen Ausübung seines Berufes vorbereiten. Wer den Sonntag würdig feiert, wie kann der wohl die übrigen Tage unwürdig zubringen? Wer ihn elend anwendet, wie kann der an die Pflicht glauben, die übrigen gut anzuwenden?Höre mich, wer du auch seyst, der du dieses liesest: auf die Anwendung des Sonntags kommt die Anwendung der Woche an. Vergiß an diesem Tage die Kleinigkeiten der Erde! Sey ganz der Religion und dem Himmel gewidmet! Fühle die Wohlthaten Gottes, das Glück frommer Freunde und ihrer Gespräche, die Freuden der Natur und ihrer Wunder. Bete, danke, erforsche dein Herz. Erkenne, daß du von Gott allein die Kräfte zu deiner wahren Wohlfahrt hast. Suche sie demüthig von Ihm, und sey dankbar für diejenigen, die du empfängst. Wir vergessen unsere Schwachheit und unsere Unwürdigkeit unter dem Tumult der Geschäfte und Angelegenheiten des Lebens gar zu leicht, wenn wir nicht eine gewisse Zeit festsetzen, unser Unvermögen und die Macht und Güte Gottes, unsere Unwürdigkeit und Seine Hoheit zu erkennen. Diesem Geschäfte sollte der Sonntag gewidmet seyn. Er ist der Tag des Gebets und der Ruhe, worin die Seele allein ihr wahres Glück findet.

Gellert, Christian Fürchtegott – Von guter und schlechter Lektüre

Ich halte das Lesen der alten römischen und griechischen Schriftsteller für nothwendig zum Geschmack und zur wahren Gelehrsamkeit; aber das Lesen der alten Philosophen kommt mir gefährlich vor, weil es eher stolz als weise und gut machen kann. Ihre Sittensprüche sind vortrefflich und bereden das Herz, daß es auch von selbst vortrefflich werden könne. Der Verstand freut sich über die Tugend, die sich der Mensch selbst geben kann; aber das Gewissen widerlegt sehr bald das stolze System, wenn das Herz versucht, durch eigene Kraft fromm zu werden. Warum unterlassen so viele junge Leute das Gebet, gutgesinnte junge Leute, wenn sie nicht heimlich glauben, daß sie sich selbst zur Tugend genug sind? Es ist eine elende Scham, wenn man sich höherer Hülfe schämt. Sie wollen dem Geiste Gottes, der unser Herz ändern und heiligen muß, diese Ehre nicht lassen, um sie selbst zu verdienen, richten das Reich einer eiteln Selbstzufriedenheit in sich auf, glauben sich beherrschen zu können, fallen in Sicherheit, und daraus in Laster, die der Jugend so gefährlich sind.