Kierkegaard, Sören Aabye – Der Missbrauch der Gelehrsamkeit

Trauriger Mißbrauch der Gelehrsamkeit! Daß es den Menschen so leicht gemacht wird, sich derart selbst zu betrügen! Denk dir ein Land. Es geht ein königliches Gebot aus an alle Beamten und Untertanen, kurz an die ganze Bevölkerung. Was geschieht?

Es geht mit allen eine merkwürdige Veränderung vor: alles verwandelt sich in Ausleger, die Beamten verfassen Schriften, jeden Tag erscheint eine Auslegung, die eine immer gelehrter, scharfsinniger, geschmackvoller, tiefsinniger, einfallsreicher, wundervoller, schöner und wunderbar schöner als die andere; die Kritik, welche die Übersicht geben soll, behält kaum die Übersicht über diese ungeheure Literatur – alles ist Auslegung. Niemand aber hat das Königsgebot dergestalt gelesen, dass er danach täte…

Was meinst du nun, wird dieser König von dergleichen denken? Ob er nicht sagen würde: dass sie dem Gebot nicht nachkommen, das könnte ich ihnen immerhin verzeihen. Fernerhin, falls sie eine Bittschrift bei mir einreichten, dass ich Geduld mit ihnen haben, oder sie vielleicht ganz verschonen möge mit diesem Gebot, das ihnen so schwer falle: ich könnte ihnen verzeihen. Das aber kann ich nicht verzeihen, dass man sogar den Gesichtspunkt für das, was Ernst ist, verschiebt.

Kierkegaard, Sören Aabye – Der höchste Reichtum

Dieser Weg, der der „der Weg“ ist, wird selten besprochen, betreten, angepriesen! Ach, in der Welt ist es beinahe, als sei er nicht vorhanden, in der Welt hat man ja auch keine Vorstellung davon, daß das eben Reichtum ist, nicht selber reich zu werden oder zu sein, sondern andere reich machen zu können! Jener wunderliche Weg zum Reichtum ist vorhanden!

Denke dir unseren Heiland Jesus Christus! Er war arm, er machte aber doch andere reich! Und sein Leben drückt ja niemals etwas Zufälliges aus, daß er nur zufälligerweise arm war. Nein, sein Leben ist die wesentliche Wahrheit und zeigte deshalb, daß, um andere reich zu machen, man selbst arm sein müsse. Dies ist der Gottheit Gedanke, von dem menschlichen verschieden, dem „reichen Mann“, der andere reich macht.

Er aber war arm, solange er hier auf Erden lebte, darum war sein Werk, solange er lebte, jeden Tag, jede Stunde, jeden Augenblick, andere reich zu machen! Selbst arm, gab er sich der Arbeit hin – andere reich zu machen, und gerade dadurch, daß er arm war, gab er sich ihr ganz hin. Er stieg nicht vom Himmel herab, um arm zu werden, er stieg aber herab, um andere reich zu machen. Aber um andere reich zu machen, mußte er arm sein. Er wurde arm, das war sein eigener, freier Entschluß, seine Wahl.