Johann Caspar Lavater – Aus einer Predigt nach seiner Verwundung

Jeder wiederkehrende Schmerz soll mir ein Ruf der Erweckung sein, mit neuem Mute, neuer Geduld und Demut, mit neuer Treue und Liebe in die Fußtapfen dessen zu treten, an dessen unnennbare Liebe und unbeschreibliche Wundschmerzen für uns meine tausendmal erträglicheren Wunden mit täglich erinnern sollen. Es ist Gottes unaussprechliche Güte, daß er mich würdigt, dieses Kreuz zu tragen. Kein Sterblicher hat eine solche Lästerung und Reinigung so nötig wie ich. Ach, wie danke ich Gott alle Tage für jeden neuen Schmerz, den er mir auferlegt. Die Leute fragen mich in ihrer Torheit oft, ob ich dem Grenadier verzeihen könne. Verzeihen bloß? Ach Gott, käme er doch heute zu mir – um den Hals wollt ich ihm fallen, sein Gesicht mit Freudentränen benetzen und zu ihm sagen: Siehe, Glücklicher, diese Krone, dieses Kleinod hast du mir gegeben!