Zinzendorf, Nikolaus von – Gegenwart Christi

Wenn man ein Christ wird, wenn einen Christus annimmt, wenn man die Macht, ein Kind Gottes zu werden, erhält, so geschiehts, dass einem der Heiland auf einen Augenblick mit seiner Person gegenwärtig wird. Man kommt in einer Stunde, in einem Augenblick in die Umstände, darin die Apostel waren, als sie Ihn sahen. Ich fordere nicht, dass man mit seinen leiblichen Augen einen Körper sieht, dass sich das Gemüt eine Einbildung macht, oder in sich selbst so lange hinein sieht oder hinein denkt, bis es eine Gestalt vor sich stehen sieht, aber ich fordere das Wesentliche davon, nämlich, dass ein Mensch, der abstrakt und nur geistlich gesehen hat, so gewiss wissen muss, dass sein Geist gesehen und gefühlt hat, als wie man im gemeinen menschlichen Leben gewiss sein kann, dass man etwas gesehen und angerührt hat. Er braucht denselben Augenblick, da das geschieht, nichts Sinnliches, nichts Sichtbares zu haben (man kann zwar das mit keiner Gewissheit ganz ausschließen, es muss daher auch nicht sein), wenn nur die wesentliche Wirkung davon übrig ist, hinten nach, dass man nicht nur sagen kann; ich habe gesehen, gehört, sondern: so hab‘ ich’s gesehen und das habe ich gehört.

Die Schrift sagt: unser ganzes evangelisches Geschäft sei, Jesum abzuzeichnen, Ihn vor die Augen zu malen, den Griffel des Geistes nehmen und das Bildnis Jesu in die fleischernen Tafeln des Herzens radieren, ja eingravieren, dass es sein Lebtage nicht wieder herauszubringen ist.

Augustin wünschte, Jesum im Fleisch zu sehen, und weil ich das nicht kann, sagte er, so steht Er mir vor meinen Augen, als ob ich Ihn gekreuzigt sähe.

Nikolaus von Zinzendorf – Damals und Heute

Es ist ein Unterschied zwischen unsern und den alten Zeiten. Dort mussten die Sinne was haben. Wenn die Leute glauben sollten, so mussten sie es auf eine Art greifen, oder wo möglich gar sehen. So beschreibt der liebe Heiland selbst Abraham, den Glaubensvater: Abraham war froh, dass er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn. Das ist aber bei uns nicht so, uns ist gesagt: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Wenn wir nur an Ihm hangen bleiben, wenn wir nur wohnen, wo wir zu Hause sind, wo sich unser Geist wirklich befindet, wenn wir nur von Zeit zu Zeit die nötige Nahrung für Leib und Seele erhalten, so ist es gut, das andere lässt sich erwarten. Denn wo steht’s geschrieben, dass es wichtiger sei, wenn die Augen was sehen, als wenn das ganze Herz, die ganze Seele in etwas lebt, und alle Glieder durchdrungen werden von dem Effekt, von seiner Kraft.

Nikolaus von Zinzendorf

Es weiß ein jeder, den der Heiland einen neuen Plan anfangen heißt, was er in seinem Teil ausstehen muss. Aber all unsere Schmach, Proben und Leiden können die Absichten des Heilandes im Geringsten nicht hindern.

In der Türkei ist die Art, wie einer eine Schlacht verliert, so hat er allemal Unrecht. So ist es auch eine ausgemachte Sache, wer in des Heilands Sache verliert, wer den Zweck nicht erhält, der hat allemal Unrecht; die Entschuldigungen gelten nichts: es hat nicht sein können, wegen der Umstände des Landes und der Leute. Er weiß unsere Ungeschicklichkeit und Unerfahrenheit, ehe wir gegangen sind; Er hat gewusst, warum er uns die Proben will durchgehen lassen.

Wenn wir unter einer armen unansehnlichen Gestalt, in einer völligen Unterwerfung unter die menschlichen Ordnungen, in einer erstaunlichen Willigkeit alles zu tun, was wir können, und über Vermögen zu tun, wenn wir nur unsern Nebenmenschen was Gutes erweisen können, ohne die geringste Absicht eines Dankes oder Wiedervergeltung, ohne die geringste Besorgnis wegen des gewissen Undankes, immer in Einfalt fortdienen und helfen; so kann’s nicht fehlen, wir gewinnen dem Heiland unsern Posten, wir behaupten Ihm den Platz, die Stelle oder die Sache, die wir kommittiert((beauftragen, bevollmächtigen, als Beauftragten senden.)) bekommen.

Wo nun der Heiland einmal eingezogen, da bleibt Er.

Wenn des Heilands Leute sich wohin begeben, so ist das ein Gnadenbogen, dass Gott derselben Gegend gewogen ist. Wenn die Missverständnisse, die Klatschereien und Lästerungen endlich nach Gewohnheit aller menschlichen Dinge verflattert sind, so erhalten sie doch den Frieden, dem sie ein, zwei, drei Jahre nachgejagt haben, und der muss hernach fortregieren und die Oberhand haben, wo sie sind, und so lange sie sind.

Nikolaus von Zinzendorf – Einbildung

Eine ziemlich unbekannte Sünde, die über alle Sodomitereien und Mordbrennereien geht, und was nur Entsetzliches in der Welt geschehen mag, ist die Präsumption, die Einbildung von sich selbst. Vor dieser Sünde bewahrt Gott alles, was Ihm lieb ist, und wenn es auch durch lauter Widerstand geschehen sollte, da ihnen nichts von der Hand ginge, alle ihre Maßregeln zu kurz oder zu lang blieben, dass sie in ihrem ganzen Leben bedrängt und gedrückt einhergehen: wenn er sie nur vor diesem Ding bewahren kann, das Präsumption, sufficiens assurance, eingebildet sein heißt, so genügt Ihm, so hat Er sie vor dem Erbschaden, vor dem geistlichen Aussatz bewahrt. Denn das ist das allerinfamste Ding, das man sich im Geistlichen vorstellen kann. Sie ist eine Hauptgelegenheit zu unserm ganzen Fall, zum ewigen Verderben so vieler Tausenden gewesen. Aus ihr entsteht der Partikularismus, die Neigung für sich selbst zu leben, ohne sich an andere Leute zu kehren.

Nikolaus von Zinzendorf – Umgang mit dem Heiland

Wie einfältig lässt sich’s mit dem Heiland umgehen, wie kann man seinen ganzen Tag mit Ihm zubringen! Es ist kein Gedanke, kein Anliegen, das man nicht viel einfältiger und offenherziger bei Ihm niederlegen kann, als bei seinem allvertrautesten Herzen, da man doch manchmal Vorsicht brauchen muss; aber beim Heiland ist’s gar nicht nötig; sondern wer es dahin gebracht hat, dass er mit Wahrheit sagen kann, wenn nur mein Herz Fenster hätte, dass meine Freunde hineinsehen könnten, der hat den Trost, dass der Heiland auch hineinsieht, und die allerverborgensten Winkel klar und lichte vor sich hat, und dass nichts darin vorgeht, das Er nicht weiß.

Nikolaus von Zinzendorf – Kinder Gottes

Kinder Gottes haben eben den Sinn, denken und reden eben so, wie ihr Heiland; es ist eine Freude zu sehen, wie sie in Gleichheit des Heilands immer zunehmen, dass sie ihren lieben Vater und Bräutigam nicht leugnen können, dass mans ihnen anmerkt, sie sind seines Geschlechtes, sie sind natürlich, wie unser Herr, wie man sich Ihn ungefähr vorstellen kann, dass Er war, so sind auch sie in dieser Welt.

 

Da bleibt freilich immer viel auszubessern, wenn wir’s auch noch so hübsch machen, man sieht doch, dass wir Schüler sind, dass wir’s erst gelernt haben, dass es nicht bei uns gewachsen ist; und wenn sie auch der liebe Heiland selbst in uns tut, so passieren sie doch durch einen Kanal, der sich manchmal nicht recht drein schicken kann.

 

Deswegen bleibt es aber doch ewige Wahrheit, dass, wenn uns des Heilands Sinn und Art noch was kostet, oder im Gegenteil es was Böses, Unanständiges, Unartiges zu unterlassen, Überwindung kostet; so sind wir noch nicht am rechten Ort, so gehören wir vermutlich unter die Leute, die aus der Ähnlichkeit und Natur Jesu eine Wissenschaft, eine Schule machen, so haben wir Ihn noch nicht gesehen, noch erkannt, so haben wir’s nur vom Hörensagen. Denn wer Ihn jemals gesehen und erkannt hat, wem Er jemals nahe geworden, und ihm einen wesentlichen persönlichen Eindruck in seinem Herzen zurückgelassen hat, ein Eindruck, der nicht nur da ist, sondern der auch die Bewegungen unseres Herzens macht, und der Meister der ersten Gedanken bei uns ist, wer das, sage ich, erfahren hat, der lebt in dem Heiland, der gewöhnt sich nach und nach auch zu reden, zu handeln wie Er, der in ihm lebt, und aus ihm heraushandelt.

Nikolaus von Zinzendorf – Den Willen des Heilands tun

Des Heilands seinen Sinn und Willen wissen und ihn nicht tun, wenn man ihn tun kann, ist unvereinbar mit der Liebe zu Ihm. Des Heilandes seinen Sinn wissen und seinen Willen tun, muss eines sein. Der Missverstand besteht nur darin, dass man Leute, die noch nicht bekehrt sind, zwingen will, des Heilands seinen Sinn und Willen tun. Wer noch nicht im Blut des Lammes gewaschen ist, wer nicht Vergebung der Sünden hat, wer nicht ein Gnadenkind ist, der gehört allein unter die Schule der Obrigkeit, der muss sich nur hübsch bürgerlich und ehrlich aufführen, und wird verschont mit allen Sachen, die Niemand verstehen kann, der nicht den Geist Christi hat, welchen Niemand empfängt, der nicht erst besprengt ist im Herzen, und los vom bösen Gewissen. Bis dahin ist man frei von der Gerechtigkeit. (Röm. 7.) Aber danach ist’s freilich eine Seligkeit, eine Freude, wenn Er einem nur viel sagt.

Nikolaus von Zinzendorf – Vom unvernünftigen Christentum

Da möchte man alle Theologen, wenn sie einen hörten, um Gottes Willen bitten, sie sollten sich doch nicht die Mühe geben, unsere Religion beständig als vernünftig vorzustellen. Denn wenn sie den Atheisten und Deisten beweisen wollen, dass unsere Religion eine in ihren Köpfen gewurzelte Weisheit ist, eine Klugheit, die sie in ihrer Art für Klugheit halten können, so dreschen sie leeres Stroh. Paulus sagt positiv: Es ist etwas Törichtes in unserer Predigt; es kann sie kein Weiser dieser Welt begreifen; da ist kein Ohr, das unsere Sprache hören, kein Auge, das unsere Sache sehen kann. Man muss vorbereitet sein, wie es dort heißt: so viele ihrer zum ewigen Leben zugerichtet waren, denen ihr Kopf, ihr Gemüt und Herz zurecht gestellt war, dass sie diese Sachen als Weisheit erkennen konnten als dennoch Weisheit. Du lässt mich wissen, die heimliche Weisheit, sagt David. Das ist die Weisheit, (1 Kor. 1.) die keiner von den Klugen dieser Welt erreichen konnte.
Das soll weiter nichts beweisen, als dass die gewöhnlichen Mittel nicht hinreichen, dass eines Menschen, als Menschen, sein Verstand so wenig zulangt, die Sache zu fassen, als eines armen Tieres Verstand zulangt, unsere geometrische und algebraische Aufgaben zu begreifen. Es muss gegeben werden.