Jakob Vetter – Von dem Eins sein der Seele mit Gott

Die Vereinigung einer Seele mit Gott ist die tiefste und herrlichste Erfahrung, die ein Mensch machen kann. Für Welt, Sünde, Finsternis und Selbstleben ist er gestorben. Was er lebt, lebt er verborgen mit Christo in Gott. Er kann mit Paulus sagen: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Er lebt mit Christus verborgen in den ewigen Tiefen seines Gottes. O, wunderbares Geheimnis!

Jakob Vetter – Über das Gebet

Wie gelangt man zu einem rechten Gebetsleben? Ein Gebetsleben ist ein Leben mit Gott, aus Gott, in Gott und für Gott. Das ist nur möglich bei wahrhaft Wiedergeborenen. Ich muß das voraussetzen, damit ich nicht mißverstanden werde. Um Gebetserhörungen zu erleben, braucht man kein Kind Gottes zu sein. Gott erhört auch die unbekehrten Sünder, ja, selbst die Raben, die zu ihm schreien. Ein Gebetsleben aber können nur die führen, die dem Reich der Finsternis entrückt und in das Lichtreich versetzt sind. Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. Wer mit dem Vater des Lichts Gebetsumgang haben will, muß gewaschen sein von seinen Sünden. — Unser ganzes Leben muß in seiner Gegenwart in Ordnung gebracht sein. Das ist ganz natürlich. Und wie es gilt, den Herrn mit sich reden zu lassen im innern Gericht, in verborgener Geisteszucht, so gilt es auch, ihn reden zu lassen im äußeren Gericht, in dem, was unser Lebensweg Dunkles, Bitteres und Schweres mit sich führt. — Dieses und vieles andere gehört dazu, um ein Gebetsleben leben zu können. Laß es dich nicht verdrießen, wenn du nicht gleich in den ersten Tagen oder Wochen zu einem solchen Gebetsleben durchdringst! Wenn auch dein Gebetsumgang mit Gott hundertmal unterbrochen wurde, laß dich durch keine unangenehmen Erfahrungen entmutigen! Der Schade einer Unterbrechung deines Gebetslebens ist groß; aber noch schlimmer ist es, wenn du nach solcher Unterbrechung nicht sogleich wieder zu deinem Gott zurückkehrst.

Eduard Graf von Pückler – Die Hauptsache

„Die Hauptsache ist jetzt für alle, die Zeit haben, sich dem Gebet mit großer Inbrunst zu widmen. Wir sollten viel beten, daß das Reich Gottes zu uns und zu unserm Volk komme. Entweder wir treten jetzt in den Riß für unser ganzes Volk, oder wir gleichen nicht Abraham noch Nehemia noch all den Seelen, auf deren Gebet hin Gott einem ganzen Volke Rettung und neues Heil schicken konnte in schwerster und allerschwerster Zeit. Gott sucht auch jetzt, ob jemand sich zur Mauer mache und in den Riß trete vor ihn für das Land, auf daß er es nicht verderbe.“

Tersteegen, Gerhard – Gott muß überall Meister bleiben

Daß Du durch Anfechtungen geübt worden bist, glaube ich Dir gerne. Ohne Proben und Übungen kommen wir nicht zum Ziel. Zwar kommt manches aus eigener Schuld. Gottes unendliche Güte in Christo aber trägt und hilft uns wieder mit wunderbarer und anbetungswürdiger Langmut. Wir könnten’s doch manchmal besser und näher haben, wenn wir fein bei der Herzenseinfalt bleiben und nicht aus guter Meinung zu früh groß und klug sein wollten. Die Absicht ist sicher gut: man will gern fortschreiten in seinem Christentum. Und in dieser Absicht forscht, liest, hört man allerhand, welches wir dann nicht alles fassen, miteinander reimen und verdauen können. Ich weiß, was ich in diesem Stück habe durchmachen müssen. Meine Seele dankt noch bis diese Stunde dem lieben Gott, daß er mich in meinen ersten Jahren vor allerhand Bekanntschaften und Gelegenheiten, so mancherlei zu hören und zu sehen, bewahrt hat.

Darum wundert’s mich nicht, daß Dir der Umgang mit Freunden hie und da keine Befestigung gebracht hat. . . So hab‘ ich’s auch so gern nicht gesehen, wann Du Dir viel und allerhand Arten geistlicher Bücher ausgesucht hast. Gar nicht, als ob ich etwas wider solche Bücher und Freunde hätte. Nur ist nicht alles, was in sich selber gut ist, darum auch für uns gut. Manche auch teure Wahrheit kann uns verwirren oder aufhalten, wann wir sie vor der Zeit wissen wollen (Joh. 16, 12). Gott muß überall Meister und wir seine Schüler bleiben, die sich fein bei der aufgegebenen Lektion halten.

Tersteegen, Gerhard – Was ist Beten?

Keine Kunst in der ganzen Welt ist einfältiger und leichter als recht beten; ja, es ist gar keine Kunst. Und wenn wir meinen, wir könnten nicht beten, das ist ein Zeichen, daß wir noch nicht recht verstehen, was Beten ist. Beten ist, den allgegenwärtigen Gott ansehen und sich von ihm besehen lassen. Was ist nun leichter und einfältiger, ah die Augen aufzutun und das Licht anzusehen, welches uns von allen Seiten umgibt? Gott ist uns weit mehr gegenwärtig als das Licht. In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Er durchdringt uns, er erfüllt uns, er ist uns näher, als wir uns selber sind. Dieses einfältig zu glauben und sich dessen einfältig, so gut man kann, zu erinnern, das ist Beten. Und wie sollte es auch schwer fallen, sich von einem so gütigen Arzt besehen zu lassen, der schon besser weiß, was uns fehlt, als wir selber wissen!

Wir haben nicht nötig, dieses oder jenes zu bringen, uns so oder anders zu stellen oder allemal viel zu sehen und zu empfinden, wenn wir beten wollen, sondern wir sollen’s nur einfältig und kurz sagen, wie wir sind, und wie wir gern sein wollten. ]a, es ist eben nicht allezeit nötig, daß wir’s sagen, sondern wir sollen’s den allgegenwärtigen, gütigen Gott nur sehen lassen. Aber nicht so obenhin, sondern wir sollen so einige Zeit bei ihm und vor ihm zu bleiben trachten, damit er uns gleichsam recht besehen und heilen möge. Wir müssen ihm nichts andres sagen noch sehen lassen, als was in uns ist, es mag nun sein, was es wolle. Findest du dich nun zerstreut, dunkel, unempfindlich, so sage es Gott einfältig und laß ihn dieses Dein Elend sehen, so hast Du recht gebetet. . . Verleugne viel Deinen eignen Willen und Lüste, so wirst Du im Gebet leicht zurechtkommen, welches der Herr in Deiner und meiner Seele durch seine Gnade wirken wolle!

Tersteegen, Gerhard – Trost auf dem Sterbebett

Findet Dich dieses Blatt noch in dem zeitlichen Elende, so besuche ich Dich hierdurch zum Abschied auf dem Pilger- und Kreuzwege, um uns ewig vor Gott und in Gott wiederzufinden, welches bald geschehen wird. Setze Deine Hoffnung ganz auf die teure Gnade Gottes in Christo Jesu, der gekommen ist, die Sünder selig zu mähen! Suche nichts in Dir selbst, in Jesus ist alles und ewig, was Dich beruhigen und selig machen kann. Alle Deine Sünden und Gebrechen, von Kindheit an bis hierher begangen, sind Dir herzlich leid. Du glaubest, daß Gott um seines lieben Sohnes Jesu willen Dir alle Deine Sünden und Gebrechen überflüssig könne, wolle und werde vergeben und mächtig sei, Dir zu helfen aus allem Deinem Jammer zu seinem ewigen himmlischen Königreich. O du große Gottesgnade in Jesu! O du gründlich beruhigendes Blut meines teuren Erlösers, der um meiner Sünde willen gelitten und gestorben am Stamm des Kreuzes! An dich glaube ich, auf dich leg‘ ich mich, Jesus! Jesus! In der ewig großen Glut deiner erbarmenden Liebe sind alle meine Sünden wie kleine Stoppeln. In diese deine Jesusliebe will ich mich versenken und verlieren, wie ich bin; du kannst mich erlösen, du Menschenfreund!

Du hast Dich in Deinem Leben öfters Jesu ergeben und anvertraut und hast gewünschet, ganz und ewig für ihn zu sein und ihn allein zu lieben und ihm anzuhangen. Das befestigest Du nun nochmals vor der Tür der Ewigkeit mit einem herzlichen Amen. Ja, Jesu, dein bin ich, dein will ich bleiben im Leben, im Sterben und in der ganzen Ewigkeit! Du hast mich dir zum Eigentum erkaufet. Du hast Recht zu meiner Seele. Dir händige ich sie wieder ein als dein Gut. In deine Hände lege ich auf ewig nieder meinen Geist, du getreuer Gott in Jesu! Bewahre du dieses teure Pfand in deiner Hand! Halte du fest, wie du verheißen hast: „Meine Schafe sind in meiner Hand, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“ Habe ich dich, o du liebenswürdigstes Wiesen, schlecht geliebet und gedienet auf Erden, so erwarte ich nun von deiner Barmherzigkeit eine Ewigkeit, da ich dich vollkommen lieben, dienen und verehren möge mit allen deinen Heiligen, Jesu, ich beuge mich unter deine Zucht; reinige, bereite und vollende mich! Soll dieses sterbliche Leben hinsinken, so bleibe du mein ewiges Leben und die ganze Herrlichkeit meiner Seele!

So gehe denn hin im Frieden, mein lieber Bruder, und schaue Deinen Heiland! Er stärke, erquicke und helfe Dir durch! ]a, er wird es tun. Er segne Dich aus seinem Heiligtum und begleite Dich durch das Tal des Todes zum Leben, das ewig ist! Amen, Jesus! Amen, Jesus! Jesus, Amen! In diesem Namen grüße und küsse ich Dich nochmals von Herzen und bleibe durch seine Barmherzigkeit nun und ewig

Dein treuverbundener Bruder.

Tersteegen, Gerhard – Stellung zu den Religionsparteien

. . . Ich glaube, daß eigentlich in den Augen Gottes nur zwo Parteien auf Erden seien, nämlich die Kinder der Welt, in welchen die Weltliebe herrschet, und dann die Kinder Gottes, in welche die Liebe Gottes ausgegossen ist durch den Heiligen Geist. Und daß Gott außer diesem auf allen andern Unterschied und Namen gar nicht achtet.
Ich glaube (und wollte Gott, daß mein Glaube in diesem Stück irrig wäre], daß unter allen und jeden Religionsparteien weit die mehresten, sowohl Prediger als Zuhörer, zu der Partei der Welt und des Antichristen gehören, obwohl auch Gott unter allen seine Verborgenen haben wird, die ich alle und jede herzlich liebe. Denn: Ich glaube und bin darin gewiß, daß sowohl in der Partei der Römisch-Katholischen als unter den Lutheranern, Reformierten, Mennoniten usw. und bei all den besonderen Meinungen und Gebräuchen dieser Parteien die Seelen, nicht weniger als unter den Separatisten, zu dem höchsten Gipfel der Heiligkeit und Vereinigung mit Gott und also auch zu dem Recht der Erstgeburt gelangen können.
Nichtsdestoweniger glaube ich auch, daß, wann einer in seinem Gewissen überzeuget wird, diese oder jene Kirchengebräuche seien wider Gott und ihm an seiner Seelen Heiligung hinderlich, er sodann verpflichtet sei, sich solcher Dinge zu enthalten, weil es ihm also zur Sünde sei; denn was nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde.
Meine Person und Verhalten anlangend, so hange ich keiner Religionspartei sektiererischer Weise an, habe mich auch von keiner Partei förmlich separiert, bin auch noch nicht Sinnes, solches zu tun. Ich gehe zwar in keiner äußeren Kirche zum Abendmahl, weil ich mich vor diesem, aus Trieb meines Gewissens, enthalten muß und auch bis jetzt noch keine Ursache habe, warum ich mich wieder zu dessen Gebrauch wenden sollte. Sollte ich aber mit Gewißheit erkennen, daß Gott mehr durch mein Abendmahlgehen als durch mein Davonbleiben könnte verherrlichet und ich oder mein Nächster in Wahrheit erbauet werden, so würde ich mir im übrigen wenig Skrupel daraus mähen.
Wann ich Gelegenheit habe, einen frommen reformierten, lutherischen usw. Prediger zu hören, so gehe ich in die Kirche; und wann ich Gelegenheit hätte, einen frommen katholischen Prediger zu kennen (wie ich denn deren gekannt habe), so wollte ich wohl mit eben der Freiheit des Gemüts dessen Predigt anhören; es sei denn, daß ich mich dieser Freiheit, anderer Schwacher wegen, nicht bedienen wollte.
Und gleichwie unter allerlei Volk, wer Gott fürchtet und Recht tut, demselben angenehm ist, so ist er auch mir angenehm, er habe sonst dieses oder ein anderes Religionsröcklein an; und so gehe ich wirklich mit allerhand Religions- Verwandten um. Ich rede zu ihnen (wann’s Gott fügt) öffentlich und sonderlich von der Gnade Gottes in Christo, von der Verleugnung, vom Gebet, von der Liebe zu Gott und lasse ihnen dabei das ganze Gebäude ihrer besonderen Kirchen- Verfassung und Meinungen unangetastet stehen, solange es Gott stehen läßt.
Mit besonderen Meinungen halte ich mich wenig oder gar nicht auf, auch nicht mit den beliebten und berufenen Meinungen vieler Separatisten: von dem Fall des Antichristen, vom Tausendjährigen Reich, von der Läuterung, von der Wiederbringung und dergleichen. Mir selbst und aller Kreatur zu sterben, damit ich Gott leben möge in Christo Jesu, das ist mein ganzes Geheimnis des Glaubens. In andern Dingen bin ich dumm und hoffe, in dem Sinne immer dummer zu werden.
Kurz, ich bin kein Stürmer des äußeren Babels, sondern suche nur durch Gottes Gnade, wie Babel in mir und anderen Herzen zerstöret und Gottes Reich aufgerichtet werde, welches nicht ist Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist.
Dieses eine, mein lieber Freund, bezeuge ich ihm noch zum Beschluß aus aufrichtiger Liebe, und ich weiß, daß ich die Wahrheit sage: daß nämlich sein Eifer wider Babel oder die sogenannten Sektierer nicht aus dem Geist Jesu, sondern meist sein eigenes, aus dem Geist des Verfalls angezündetes Naturfeuer sei, welches ihn zwar genug brennen, aber keinen Pfosten an Babel verbrennen wird; und daß er, nebst mir, nötig habe, durch beständiges Hungern nach der Gnade und Einkehren in die sanfte Liebe Jesu seine herben Naturkräfte besänftigen zu lassen, damit er auch seinen armen Nächsten mit einem gütigeren Aug‘ ansehen, tragen und umfassen könne. Sonst wird er gewiß, mein lieber Freund, es endlich noch bedauern, daß es seine edle Kraft, Ernst und Zeit nicht auf Nützlicheres angewandt hat. Gott gebe ihm und mir in diesem und allem übrigen Weisheit und Gnade!

Franz von Assisi – Testament

Der Herr verlieh mir, Bruder Franz, den Anfang des neuen Weges auf folgende Weise: Als ich in Sünden lebte, kam es mir sehr bitter an, Aussätzige zu sehen. Aber der Herr selbst führte mich unter sie, und ich erwies ihnen Barmherzigkeit. Als ich von ihnen ging, ward mir dasjenige, was mir vorher bitter vorgekommen war, in Süßigkeit für den Geschmack des Leibes und der Seele verwandelt. Nachher zögerte ich noch ein wenig, dann verließ ich diese Welt. — Der Herr verlieh mir einen solchen Glauben, daß ich in den Kirchen in aller Einfalt betete: „Wir beten Dich an, Herr Jesus Christus, hier und in allen Deinen Kirchen in der ganzen Welt, und wir danken Dir, weil Du durch Dein heiliges Kreuz die Welt erlöst hast.“ — Der Herr verlieh mir auch bis heute einen solchen Glauben im Hinblick auf die Priester, die nach der Form der heiligen römischen Kirche leben, und zwar um ihrer Weihe willen, daß ich mich an sie halten will, selbst wenn sie mich verfolgen würden. Und hätte ich soviel Weisheit wie Salomon und fände ärmliche Weltpriester in den Pfarreien, wo sie sich aufhalten, ich wollte nicht gegen ihren Willen predigen. Sie und alle andern will ich fürchten, lieben und ehren wie meine Herren. Ich will nicht auf Sünde bei ihnen achten, weil ich den Sohn Gottes in ihnen erkenne, und weil sie meine Herren sind. Das tue ich, weil ich hier auf der Welt mit leiblichen Sinnen nichts von dem Sohne des allerhöchsten Gottes sehe als seinen heiligsten Leib und sein heiligstes Blut, das sie, die Priester, empfangen und allein den anderen spenden. Diese heiligen Geheimnisse will ich über alles geehrt, verehrt und an würdigen Orten aufbewahrt wissen. Wo ich seine heiligsten Namen und Worte der Schrift an ungeziemenden Orten finde, will ich sie auflesen, und ich bitte, man möge sie ebenso behandeln und an einem passenden Orte bewahren. Alle Theologen, und die an uns den Dienst des heiligen Wortes Gottes versehen, sollen wir ehren und hochachten, denn sie spenden uns den Geist und das Leben. — Als dann der Herr mir Brüder gab, war niemand, der mit zeigte, was ich tun solle, sondern der Allerhöchste selbst offenbarte mir, daß ich nach der Form des heiligen Evangeliums leben solle. Ich ließ es in wenigen, einfachen Worten niederschreiben, und der Papst bestätigte es mir. — Die dann kamen, um unser Leben mit uns zu teilen, gaben alles, was sie besaßen, den Armen; sie waren zufrieden mit einem Habit, der außen und innen geflickt war, sowie mit einem Strick und Beinkleidern; und mehr wollten wir nicht haben. — Die von uns Kleriker waren, sprachen die Tagzeiten wie andere Kleriker; die Laien beteten das Vaterunser. Wir hielten uns gerne in den Kirchen auf. Wir waren einfältig und allen untertänig. Ich arbeitete mit meinen Händen und will es heute noch, und ich verlange entschieden, daß alle anderen Brüder Handarbeit verrichten, wie es sich geziemt. Die es nicht können, sollen es lernen, nicht um aus der Arbeit Gewinn zu ziehen, sondern um des guten Beispiels willen und um den Müßiggang zu vertreiben. Wenn aber der Lohn für die Arbeit ausbliebe, so laßt uns zur Tafel Gottes unsere Zuflucht nehmen, indem wir uns an den Türen Almosen erbitten. — Einen Gruß hat mir der Herr offenbart; wir sollten sagen: „Der Herr gebe dir den Frieden!“ —

Die Brüder sollen darauf achten, daß sie die Kirchen, die ärmlichen Wohnungen und alles andere, was man für sie einrichtet, überhaupt nicht annehmen, es sei denn alles der heiligen Armut entsprechend, die wir in unserer Regel versprochen haben. Denn wir sollen darin stets nur Herberge wie Fremdlinge und Pilger haben. — Im Namen des Gehorsams befehle ich nachdrücklich allen Brüdern, sie seien wo immer, daß sie sich nicht unterstehen, irgendein Privileg bei der römischen Kurie zu erbitten, weder auf unmittelbarem Wege noch durch Mittelspersonen, weder für eine Kirche noch für einen andern Ort, weder unter dem Vorwand der (ungehinderten) Predigt noch um äußerer Verfolgung zu entgehen; vielmehr, wo man sie nicht aufnimmt, sollen sie in ein anderes Land fliehen, um mit dem Segen Gottes die Wandlung der Herzen herbeizuführen. — Es ist mein fester Wille, dem Generalobern dieser Brüderschaft und außerdem dem Guardian, den er mir geben will, zu gehorchen. Ich will so in seinen Händen ein Gefangener sein, daß ich nirgends hingehen noch etwas tun kann außerhalb des Gehorsams, ohne seinen Willen, weil er mein Herr ist… (Hier folgen einige Anweisungen für die Sicherung des Tagzeitengebetes und der Glaubensreinheit, ja, Rebellen sollen sogar dem Ordensprotektor übergeben werden). — Die Brüder sollen nicht sagen: „Das ist eine andere Regel.“ Denn es ist eine Erinnerung, eine Mahnung, ein Zuspruch und mein Testament. Ich, kleiner Bruder Franz, hinterlasse euch dies, meinen gesegneten Brüdern, zu dem Zwecke, daß wir die Regel, die wir dem Herrn versprochen haben, im katholischen Geiste besser beobachten. — Der Generalobere und alle andern Obern und Kustoden sollen im Gehorsam verpflichtet sein, diesen Worten nichts beizufügen noch abzuziehen. Sie sollen dieses Schriftstück stets neben der Regel bei sich haben, und wenn sie auf den Ordensversammlungen jeweils die Regel lesen, soll man auch diese Worte lesen. — Im Namen des Gehorsams befehle ich mit Nachdruck meinen Brüdern, sowohl Priestern wie Laien, daß sie weder der Regel noch diesen Worten eine Auslegung beifügen, etwa indem sie sagen: „Das ist so und so zu verstehen“, sondern wie der Herr mir verliehen hat, die Regel und diese Worte einfach und lauteren Herzens zu diktieren und zu schreiben, so sollt ihr sie auch einfach und lauter ohne Glosse verstehen und in heiligem Tun bis ans Ende befolgen. — Jeder, der dies befolgt, möge im Himmel mit dem Segen des höchsten Vaters und auf Erden mit dem Segen seines geliebten Sohnes erfüllt werden, zugleich mit dem heiligsten Tröstergeist und allen Kräften des Himmels und mit allen Heiligen. — Ich, euer kleiner Bruder Franz, euer Knecht, bestätige euch innerlich und äußerlich, soviel ich kann, diesen allerheiligsten Segen. Amen.

 

Jakob Gerhard Engels – Die Liebe höret nimmer auf

O, wenn wir in Wahrheit erlöst sind von dem eigenen Leben, von dem eigenen Ich, wenn die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, wenn die Liebe Christi uns dringet, und wenn wir in dieser Liebe untereinander verbunden sind, dann wissen wir, diese Liebe höret nimmer auf! O, meine Freunde, so manche meiner Lieben sind nicht mehr hier, sie sind gestorben, und es mag wohl auch bei dir so sein! Aber wenn ich an meine Lieben denke, deren Stätte leer geworden ist und in deren leibliches Angesicht ich nicht mehr sehen kann, ich meine, ich hätte sie noch lieber als früher, meine Liebe zu ihnen hätte noch zugenommen, wäre noch wärmer, inniger, reiner.

O, wie steht ihr Bild mir vor Augen! Da tritt bald der eine, bald der andere vor mein inneres Auge hin, — treue Zeugen der Wahrheit, die früher in Erweisung des Geistes und der Kraft das Evangelium gepredigt haben, oder liebe Angehörige, Gottes Kinder, die nicht mehr hier sind, — ihr Bild tritt vor mich hin, freilich nicht mehr in menschlicher Schwachheit, sondern in der Klarheit des Herrn. Wie fühlt man sich so innig mit ihnen verbunden, mit diesen lieben Gotteskindern, die nicht mehr hier auf Erden sind, die man früher gekannt und geliebt hat! Ja, die Liebe höret nimmer auf.

Und darin haben wir auch den ganz sicheren Beweis, daß wir uns Wiedersehen. Wenn die Liebe nimmer aufhört, dann muß sie die, die in dieser Liebe untereinander verbunden sind, wieder zusammenführen. Es kann nicht anders sein, trotz Trennung, trotz Tod, trotz Grab. Die Liebe höret nimmer auf.