Jakob Vetter – Über das Gebet

Wie gelangt man zu einem rechten Gebetsleben? Ein Gebetsleben ist ein Leben mit Gott, aus Gott, in Gott und für Gott. Das ist nur möglich bei wahrhaft Wiedergeborenen. Ich muß das voraussetzen, damit ich nicht mißverstanden werde. Um Gebetserhörungen zu erleben, braucht man kein Kind Gottes zu sein. Gott erhört auch die unbekehrten Sünder, ja, selbst die Raben, die zu ihm schreien. Ein Gebetsleben aber können nur die führen, die dem Reich der Finsternis entrückt und in das Lichtreich versetzt sind. Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. Wer mit dem Vater des Lichts Gebetsumgang haben will, muß gewaschen sein von seinen Sünden. — Unser ganzes Leben muß in seiner Gegenwart in Ordnung gebracht sein. Das ist ganz natürlich. Und wie es gilt, den Herrn mit sich reden zu lassen im innern Gericht, in verborgener Geisteszucht, so gilt es auch, ihn reden zu lassen im äußeren Gericht, in dem, was unser Lebensweg Dunkles, Bitteres und Schweres mit sich führt. — Dieses und vieles andere gehört dazu, um ein Gebetsleben leben zu können. Laß es dich nicht verdrießen, wenn du nicht gleich in den ersten Tagen oder Wochen zu einem solchen Gebetsleben durchdringst! Wenn auch dein Gebetsumgang mit Gott hundertmal unterbrochen wurde, laß dich durch keine unangenehmen Erfahrungen entmutigen! Der Schade einer Unterbrechung deines Gebetslebens ist groß; aber noch schlimmer ist es, wenn du nach solcher Unterbrechung nicht sogleich wieder zu deinem Gott zurückkehrst.

Eduard Graf von Pückler – Die Hauptsache

„Die Hauptsache ist jetzt für alle, die Zeit haben, sich dem Gebet mit großer Inbrunst zu widmen. Wir sollten viel beten, daß das Reich Gottes zu uns und zu unserm Volk komme. Entweder wir treten jetzt in den Riß für unser ganzes Volk, oder wir gleichen nicht Abraham noch Nehemia noch all den Seelen, auf deren Gebet hin Gott einem ganzen Volke Rettung und neues Heil schicken konnte in schwerster und allerschwerster Zeit. Gott sucht auch jetzt, ob jemand sich zur Mauer mache und in den Riß trete vor ihn für das Land, auf daß er es nicht verderbe.“

Tersteegen, Gerhard – Was ist Beten?

Keine Kunst in der ganzen Welt ist einfältiger und leichter als recht beten; ja, es ist gar keine Kunst. Und wenn wir meinen, wir könnten nicht beten, das ist ein Zeichen, daß wir noch nicht recht verstehen, was Beten ist. Beten ist, den allgegenwärtigen Gott ansehen und sich von ihm besehen lassen. Was ist nun leichter und einfältiger, ah die Augen aufzutun und das Licht anzusehen, welches uns von allen Seiten umgibt? Gott ist uns weit mehr gegenwärtig als das Licht. In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Er durchdringt uns, er erfüllt uns, er ist uns näher, als wir uns selber sind. Dieses einfältig zu glauben und sich dessen einfältig, so gut man kann, zu erinnern, das ist Beten. Und wie sollte es auch schwer fallen, sich von einem so gütigen Arzt besehen zu lassen, der schon besser weiß, was uns fehlt, als wir selber wissen!

Wir haben nicht nötig, dieses oder jenes zu bringen, uns so oder anders zu stellen oder allemal viel zu sehen und zu empfinden, wenn wir beten wollen, sondern wir sollen’s nur einfältig und kurz sagen, wie wir sind, und wie wir gern sein wollten. ]a, es ist eben nicht allezeit nötig, daß wir’s sagen, sondern wir sollen’s den allgegenwärtigen, gütigen Gott nur sehen lassen. Aber nicht so obenhin, sondern wir sollen so einige Zeit bei ihm und vor ihm zu bleiben trachten, damit er uns gleichsam recht besehen und heilen möge. Wir müssen ihm nichts andres sagen noch sehen lassen, als was in uns ist, es mag nun sein, was es wolle. Findest du dich nun zerstreut, dunkel, unempfindlich, so sage es Gott einfältig und laß ihn dieses Dein Elend sehen, so hast Du recht gebetet. . . Verleugne viel Deinen eignen Willen und Lüste, so wirst Du im Gebet leicht zurechtkommen, welches der Herr in Deiner und meiner Seele durch seine Gnade wirken wolle!

Alfred Christlieb – Über Jaebez

Unter den vielen Namen, die in den Geschlechtsregistern an uns vorbeiziehen, wird eine Person uns näher bekannt gemacht. Das ist Jaebez. Weshalb dieser gerade? Weil er ein Mensch war, der mit Gott im Umgang stand. Unter den Scharen von Menschen, deren Namen in diesen Kapiteln genannt werden, waren gewiß auch manche, die Tüchtiges geleistet haben. Über sie geht die Geschichte des Gottesreiches hinweg, ohne etwas von ihren Leistungen zu erwähnen. Aber bei einem Beter bleibt sie stehen. Das ist im Licht der Ewigkeit wichtig.

Wenn der Herr auf einen Ort blickt, in dem viele Menschen schaffen und wirken, so ist ihm das stille Zimmer, in dem ein wahrer Beter weilt, wichtiger als hundert Paläste.

Claudius, Matthias – Nicht beten

Ich kann nicht begreifen, was die Leute meinen, die nichts vom Beten wissen wollen. Ist ebensoviel, als wenn sie sagten, man solle nichts wünschen, oder man solle keine Ohren haben. Das müßte ja ein hölzerner Bube sein, der seinen Vater niemals etwas zu bitten hätte.

Der Weg zum Glück
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von Pfarrer Gustav Hofelich
C. Rieger’sche Verlagsanstalt. Stuttgart – München

Luther, Martin – Das Erste und das Letzte

Es ist gut, daß man frühmorgens lasse das Gebet das erste und des Abends das letzte Werk sein, und hüte sich mit Fleiß vor diesen falschen und betrügerischen Gedanken, die da sagen: harre ein wenig, über eine Stunde will ich beten, ich muß dies oder das zuvor verfertigen; denn mit solchen Gedanken kommt man dem Gebet in die Geschäfte; die halten und umfangen dann einen, daß aus dem Gebet des Tags nichts wird.

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Hugo von St. Victor: Gebet

Unser Elend und Gottes Erbarmen sind zwei Flügel, auf denen sich unser Gebet zum Himmel emporschwingt. Bedenken wir zuvörderst, wie kurz unser Leben, wie schlüpfrig der Weg, wie ungewiß die Stunde des Todes ist. Bedenken wir, daß wir weinend in dies Leben traten, mit Schmerz darin wandeln, mit Jammer davon scheiden werden. Bedenken wir, mit welchen Bitterkeiten Alles, was auch noch so reizend erscheint, untermischt, und wie trügerisch und verdächtig ist, was die Weltliebe gebiert. Denken wir an die unzähligen Uebel, welche die Menschheit überhaupt belasten, denken wir an die Gefahren insbesondere, die uns bedroht haben. Erinnern wir uns, wie viele Sünden wir von Jugend auf begangen, wie viele eitle Arbeit wir gethan, wie oftmals wir uns vergebens und um Nichts abgemühet, was wir gefunden und was wir verloren haben, wo wir liegen und von wo her wir gefallen sind. Was kann uns inständiger zum Gebete auffordern, als solche Betrachtung? Aber was mag auch andrerseits uns lieblicher dazu anlocken, als das Gedächtniß an die Barmherzigkeit des Schöpfers, die wir immerdar erfahren haben? Bedenken wir, wie viel Gutes er uns gegeben, und aus wie vielem Unglück er uns gerissen hat. Bedenken wir, wie er uns, wenn wir ihn vergaßen, wieder an sich erinnerte, wenn wir von ihm gegangen waren, wieder zu sich rief, wenn wir kamen, gnädig aufnahm; wie er uns vergab, wenn wir Reue zeigten, wie er uns hielt, wenn wir standen, wie er uns aufrichtete, wenn wir fielen, wie er aus unsrer bösen Lust bittres Leid und aus dem bittern Leide wiederum himmlischen Trost bereitete. Wahrlich, betrachten wir Solches, so muß unser Herz zum Gebet entflammt werden.