Hugo von St. Victor – Die Gaben Gottes

O meine Seele, wie viel hat dir dein Bräutigam gegeben! Blicke hin auf diese Welt, zeigt nicht alles Geschaffene die Bestimmung, deinen Nutzen zu fördern und in lieblichem Wechsel dir immerdar Freude zu bereiten? Siehe, meine Seele, und bedenke es sorgfältig, daß dein Schöpfer, Freund und Bräutigam das ganze Weltgebäude dir zum Dienste geordnet hat. Die Engel reinigen und entzünden dein Herz, erleuchten und bilden deinen Verstand, vervollkommnen und bewahren deine Person. Eine große Würde ist es, solche Lehrer, Tröster und Hüter zu haben. O Seele, könntest du es doch sehen, mit welcher Freude und welchem Frohlocken sie um uns stehen, wenn wir beten, mit welcher Betriebsamkeit sie uns im Guten erhalten, mit welcher Sehnsucht sie uns und unser ewiges Heil erwarten! Der Himmel muß dir dienen durch seine Bewegung, die Sterne des Himmels durch ihren Einfluß. Die Sonne schenkt dir das Tageslicht, der Mond scheint dir in der Nacht. Das Feuer mildert dir die Kälte der Luft, die Luft lindert dir die Hitze des Feuers. Das Wasser wäscht dir den Schmutz ab, löscht dir den brennenden Durst und befeuchtet das Ackerland. Die Erde aber hält dich empor durch ihre Festigkeit, erquickt dich durch ihre Fruchtbarkeit, ergötzt dich durch ihre Schönheit. Siehe, meine Seele, kurz bist du alle Dinge durchlausen und hast gefunden, wie Alles deinem Nutzen und deiner Freude dienen muß nach göttlicher Bestimmung. So bewahre nun deinen Brautstand und hüte dich zur Buhlerin zu werden, daß du die Gaben des Gebers lieber hättest, als die Zuneigung deines Freundes.