Bernhard von Clairvaux – Mein Ruhm

Wenn ich mich rühmen soll, so hat mich Paulus gelehrt, wie und worin. Unser Ruhm, spricht er, ist der, nämlich das Zeugniß unsres Gewissens. Getrost rühme ich mich daher, wenn ich nach dem Zeugniß meines Gewissens mir nichts von dem Ruhme des Schöpfers anmaße; ganz getrost, weil nicht wider den Herrn, sondern im Herrn. Solches Rühmen wird uns nicht nur nicht verboten, sondern selbst geheißen, wenn der Herr tadelnd sagt: Von einander nehmet ihr Ehre, und die Ehre, die von Gott allein ist, suchet ihr nicht! Gehet nun, ihr eitlen Menschenkinder, die ihr euch gegenseitig belüget. Ein weiser Mann wird sein Werk im Lichte der Wahrheit preisen und so Ruhm in sich selber, und nicht im Munde des Andern haben. Ein Thor wäre ich, wollte ich der Lade deiner Lippen meinen Ruhm anvertrauen und bei dir betteln, wenn ich etwas davon zu nehmen wünschte. Nein, behalte ich ihn bei mir, so hebe ich mir ihn sichrer auf; oder vielmehr gebe ihm dem aufzuheben, der mir meine Beilage bewahren kann bis an jenen Tag. Alsdann wird von Gott Lob widerfahren einem Jeglichen, der menschliches Lob verachtet hat.

Bernhard von Clairvaux – Demut

Der Fromme ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen. Wo fließen die Bäche? In Niederungen und Thälern. So wähle auch du ein Thal zu deinem Wandel, ein Thal zu deiner Pflanzung. Auf den Bergen ist es dürr und hart, auf den Bergen hat die alte Schlange ihre Wohnung genommen. In den Thälern ist es fruchtbar und frisch, da gedeihen die Bäume, da prangen volle Aehren, da erndtet man hundertfältig. In das Thal der Demuth läßt Gott alle seine Gnade fließen, und darum bleibe fest in ihr gewurzelt und gegründet.

Bernhard von Clairvaux – Hochmut

Höre das Elend, das mich drückt, erschrick davor, und lerne dich selbst verleugnen. Der Teufel fiel einst durch Hochmut; und da ich mich naher prüfe, so finde ich mich von derselben Pest angesteckt. Zitternd und erbebend spreche ich: Ist es also einem Engel ergangen, wie soll es mir ergehen, der ich Asche bin? Jener ward im Glanze des Himmels stolz, ich werde es im Staube der Erde. Wie viel erträglicher ist es, reich und stolz, als arm und stolz zu sein! Aber schon leide ich Strafe, schon fühle ich harte Pein. Ich bin schlaff und kalt, mein Geist ist wie erloschen. Wehe mir! Ich wandelte gut, aber siehe, da kam ein Stein des Anstoßes, ich stieß und stürzte. Stolz ward in mir erfunden und der Herr hat sich im Zorn von seinem Knechte gewandt. Ach, wie ist mein Herz so vertrocknet, dem dürren Erdreich gleich geworden, wie sind alle Thränen so versiegt? Kein geistliches Lied will mir mehr klingen, Schrift und Gebet nicht schmecken, alle Gedanken der Andacht sind von mir gewichen. Zur Arbeit bin ich trag, zum Zorn und Hasse geneigt. Wo ist jene Heiterkeit des Sinnes, wo der Friede und die Freude im heiligen Geist? Wie Andere doch so ausdauernd in der Geduld, so sanftmüthig und demüthig, so mitleidsvoll und barmherzig, so andächtig und gebetsreich sind! Wie die Gnade auf sie herabfließt, und wie sie den Bergen gleichen, welche der Herr besucht! Aber ach, ich bin einer von den Bergen Gilboas, vor denen der gütigste Gast nun in seinem Zorne vorübergeht!

Bernhard von Clairvaux – Gekreuzigt der Welt

Heil denen, die in dieser Welt als Fremdlinge und Pilgrimme wandeln. Ein Fremder geht den kürzesten Weg. Nach dem Vaterlande verlangt und strebt er; hat er Nahrung und Kleider, so laßt er sich begnügen, und will sich nicht mit andern Dingen beschweren. Noth höher jedoch stehen die, von denen der Apostel sagt: Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott! Der Fremdling wird oft durch Allerlei, was er sieht und hört, länger, als er sollte, aufgehalten; der Todte fühlt es nicht einmal, wenn ihm das Begräbnis) fehlt. Er vernimmt weder Tadel noch Lob, weder Schmeichelei noch Verleumdung. Ein glücklicher Tod, der den Menschen so unbefleckt erhält, ja ganz entfremdet von der Welt! Wer nicht mehr in sich lebt, in dem muß ja Christus leben. Denn obwohl ein Solcher für alles Andere todt ist, nichts davon fühlt, nicht darauf achtet, nicht dafür sorgt; so findet ihn doch das, was Christum angeht, immerdar lebendig und bereit. Aber vielleicht kann ein noch erhabnerer Standpunkt gefunden werden und bei wem sollen wir ihn anders suchen, als bei ihm, der bis in den dritten Himmel entzückt ward? Höre den Paulus, wie er von einer solchen Höhe herab spricht: Es sei fern von mir, zu rühmen, denn allein von dem Kreuz unsres Herrn Jesu Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt. Nicht allein „gestorben,“ sondern auch „gekreuzigt der Welt,“ sagt er. Ich jener, sie mir. Alles, was die Welt liebt, ist mir ein Kreuz: Fleischeslust, hohe Aemter, Reichthümer, eitles Menschenlob; was aber die Welt für Kreuz hält, dem hange ich an, dem hafte ich an, dem bin ich zugethan mit ganzer Seele. Ist diese Stufe nicht noch höher, als die erste und zweite?

Bernhard von Clairvaux – Weltverleugnung

Ich sehe, wie das Geschlecht der Menschen vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne den Markt dieser Welt durchstreift. Einige suchen nach Reichthümern, Andere nach Aemtern und Würden, noch Andere nach eitlem Ruhme? Was soll ich von den Reichthümern sagen? Werden sie nicht mit Mühe erworben, mit Furcht besessen und mit Schmerz verloren? Siehe, welche Arbeit machst du dir um vergänglicher Güter willen! Obwohl du nach des Weisen Ausspruche nur drei Finger breit vom Tode bist, fährst du über das Meer, fliehest das Vaterland, lässest die Eltern, scheidest von Weib und Kind, vergissest alle Banden der Freundschaft, um zu suchen, was du sammlest, um zu sammeln, was du verlierest, um zu verlieren, was du beklagest. Menschenkinder, wie lange wollt ihr trunken sein, wie lange wollt ihr das Eitle lieben? Was soll ich von großen Würden sagen? Du bist in ein hohes Amt gesetzt, man hat dich an die Spitze bedeutender Angelegenheiten gestellt. Welche Rechenschaft wird Gott von dir fordern, wie wirst du von Menschen beobachtet, wie tritt Alles auf, um gleichsam an dir zu ziehen und zu reißen! Wer kann auf Höhen ohne Wehen, in Würden ohne Bürden sein? Wo soll dein Ruhm herkommen, du Staubgeborner, du Bewohner der lehmernen Hütte, du unreines Gefäß? Nicht dir, nicht dir, dem Namen des Herrn gebühret Ehre. Kannst du auch deinen Ruhm suchen, ohne den Neid gegen dich aufzuwecken? Siehe auf die hin, über die du dich stellst und merke, wie vielen Saamen der Mißgunst du gestreut hast, wie man dich überall mit scheelen Blicken betrachtet. Was dir schmeichelt, bringt dir Haß; was dich hebt, drückt dich nieder. Das sind nun die Waaren, um deren Ankauf sich die Thoren mühen und plagen; der Weise aber dreht dem Kram seinen Rücken, bindet sich die Weltverleugnung darauf und geht davon.

Bernhard von Clairvaux – Erkenntnis Gottes

Der Apostel ermahnt uns, daß wir begreifen mögen mit allen Heiligen, welche da sei die Breite, und die Länge, und die Tiefe, und die Höhe. Wir wissen: Gott ist die Länge um seiner Ewigkeit, die Breite um seiner Liebe, die Tiefe um seiner Weisheit, die Höhe um seiner Majestät willen. Haben wir aber damit etwa Gott schon begriffen? Rede und Sprache begreifen sein Wesen nicht, und doch begreifen es die Heiligen. Wie geschieht das? sprichst du. Bist du heilig, so hast du es begriffen und weißt es; wo nicht, so werde heilig und du wirst es begreifen. Heilig aber wird man durch Gottesfurcht und durch Gottesliebe. Mit diesen zween Armen greift die Seele, faßt sie, bindet sie, hält sie. Liebe treu und beständig, so hast du die Lange, erstrecke deine Liebe auch auf die Feinde, so hast du dir Breite, sei immerdar schüchtern und demüthig, so hast du die Höhe und Tiefe begriffen.

Bernhard von Clairvaux – Das Wachstum der Seele

Die Seele muß wachsen und sich breiten, um Gott aufzunehmen. Denn obwohl sie als Geist keine körperliche Ausdehnung gewinnen kann, so giebt ihr doch die Gnade, was ihr die Natur versagt. Sie soll geistig wachsen und zunehmen; sie soll nicht dem Wesen, sondern der Kraft nach wachsen, sie soll auch der Herrlichkeit nach wachsen. Sie soll heranwachsen zu einem vollkommnen Manne nach dem Maaße des Alters Christi, sie soll heranwachsen zu einem heiligen Tempel Gottes. Ihre Größe aber muß man immer nach dem Umfange der Liebe beurtheilen, von der sie erfüllt ist. Liebe sie viel, so ist sie groß; liebt sie wenig, so ist sie klein, liebt sie nicht, so ist sie Nichts.

Bernhard von Clairvaux – Leeres Geschwätz

Niemand verbringe die kostbare Zeit mit leerem Geschwätz. Das Wort fliegt und läßt sich nicht zurückrufen, die Zeit fliegt und kommt nie wieder. Ein Thor bedenkt nicht, was er verliert. Wir wollen plaudern, sagt man, bis die Stunde vorüber ist. Also bis die Stunde vergeht, welche dir der erbarmungsvolle Schöpfer noch schenkt, damit du Buße thun, Gnade finden und zur Seligkeit gelangen mögest; bis die Zeit vorübereilt, in welcher du Gottes Liebe gewinnen, zur Gemeinschaft der Engel fortschreiten, nach dem verlornen Erbtheil seufzen, den schlaffen Willen anspannen und das begangene Unrecht beweinen solltest! Siehst du denn, daß Landleute, wenn günstiges Wetter zum Säen ist, oder Winzer, wenn es noth ist, den Wein zu beschneiden, sich noch freuen, wenn sie den Tag in Sorglosigkeit verbracht haben? Siehst du, daß Krämer, wenn der Jahrmarkt bevorsteht, die Hände in den Schooß legen? Suchen arme Bettler, wenn Almosen vertheilt wird, etwa nach Winkeln in den Straßen, um sich zu verstecken? Und wenn es nur damit sein Bewenden hätte, daß die Zeit des Lebens verloren ginge; aber Viele verlieren damit das Leben selbst, und nicht bloß dieß, sie rauben es auch ihren Brüdern.

Bernhard von Clairvaux – Nachfolge

Was denkst du doch den ganzen Tag eitlen Sinnes an das, was du dir Vorzügliches zu haben scheinst. Kümmere dich doch mehr zu erfahren, was dir fehlt. Merke darauf, wie viel Gutes Andere haben, was du nicht hast, und bewahre die Demuth, laß dich von deiner Schlaffheit aufschrecken und in deinem Eifer reizen. Siehe nur, wie viel Böses jene eingebildeten Gedanken über deine Vorzüge mit sich bringen! Du stellst dich über Andere, und wirst stolz; du hältst dich für etwas Großes, und wirst träg; du meinst schon zu viel gethan zu haben, und fängst an, Rückschritte zu machen.

Bernhard von Clairvaux – Heiligung

Um die Schaar vielfacher Gedanken, die wie pöbelhaftes Volk in den Hof deines Gedächtnisses eindringen wollen, abzuwehren, setze einen Wächter an sein Thor, der heißt: „Erinnerung an das gethane Gelübde.“ Deine Seele soll sich selbst schelten und sprechen: Darfst du Solches denken, da du ein Priester Gottes sein sollst? Schickt es sich für einen Knecht Christi, bei dergleichen auch nur vorübergehend zu verweilen? So wird der Strom unerlaubter Gedanken verstopft und gehemmt werden. Gleicherweise mußt du an der Thür des Willens, der von fleischlichen Begierden, wie das Haus von schlechtem Gesinde, erfüllt zu sein pflegt, einen zweiten Hüter aufstellen, der heißt: „Erinnerung an das himmlische Vaterland.“ Ein solcher wehrt dem bösen Gelüst und öffnet Ihm den Zugang, der gesprochen: Siehe, ich stehe vor der Thür und klopfe an! Den zuverlässigsten Wächter aber mußt du vor das Wohnzimmer der Vernunft treten lassen, damit sich hier nicht etwa ein Feind offen oder versteckt einschleichen kann; dieser heißt: „Erinnerung an die Hölle.“ Eher mag es vergeben werden, wenn das Gedächtniß einem unnützen Gedanken, oder der Wille einem unreinen Begehren Raum läßt, aber das ist schrecklich, wenn auch die Vernunft das rechte Ziel aus den Augen verliert.