Bernhard von Clairvaux – Nachfolge

Was denkst du doch den ganzen Tag eitlen Sinnes an das, was du dir Vorzügliches zu haben scheinst. Kümmere dich doch mehr zu erfahren, was dir fehlt. Merke darauf, wie viel Gutes Andere haben, was du nicht hast, und bewahre die Demuth, laß dich von deiner Schlaffheit aufschrecken und in deinem Eifer reizen. Siehe nur, wie viel Böses jene eingebildeten Gedanken über deine Vorzüge mit sich bringen! Du stellst dich über Andere, und wirst stolz; du hältst dich für etwas Großes, und wirst träg; du meinst schon zu viel gethan zu haben, und fängst an, Rückschritte zu machen.

Bernhard von Clairvaux – Heiligung

Um die Schaar vielfacher Gedanken, die wie pöbelhaftes Volk in den Hof deines Gedächtnisses eindringen wollen, abzuwehren, setze einen Wächter an sein Thor, der heißt: „Erinnerung an das gethane Gelübde.“ Deine Seele soll sich selbst schelten und sprechen: Darfst du Solches denken, da du ein Priester Gottes sein sollst? Schickt es sich für einen Knecht Christi, bei dergleichen auch nur vorübergehend zu verweilen? So wird der Strom unerlaubter Gedanken verstopft und gehemmt werden. Gleicherweise mußt du an der Thür des Willens, der von fleischlichen Begierden, wie das Haus von schlechtem Gesinde, erfüllt zu sein pflegt, einen zweiten Hüter aufstellen, der heißt: „Erinnerung an das himmlische Vaterland.“ Ein solcher wehrt dem bösen Gelüst und öffnet Ihm den Zugang, der gesprochen: Siehe, ich stehe vor der Thür und klopfe an! Den zuverlässigsten Wächter aber mußt du vor das Wohnzimmer der Vernunft treten lassen, damit sich hier nicht etwa ein Feind offen oder versteckt einschleichen kann; dieser heißt: „Erinnerung an die Hölle.“ Eher mag es vergeben werden, wenn das Gedächtniß einem unnützen Gedanken, oder der Wille einem unreinen Begehren Raum läßt, aber das ist schrecklich, wenn auch die Vernunft das rechte Ziel aus den Augen verliert.

Bernhard von Clairvaux – Die ewige Heimat

Kein Wiedergeborner glaube, daß er hier schon zu Hause sei, wo er ohne alle Furcht vor Windeszug sein brennendes Licht tragen könnte, sondern bedenke, daß er noch im Freien steht, wo er mit beiden Händen bemüht sein muß, die Flamme zu schützen; auch der Luft nicht trauen darf, scheint sie gleich still zu sein. Denn plötzlich, und wenn er nicht meint, ändert es sich und die Flamme kann erlöschen. Darum mag man lieber das Leiden der Hitze erwählen, als die Hände vom Lichte entfernen. Waren wir schon in jenem Hause, das nicht mit Händen gemacht, ewig ist im Himmel, wo kein Feind ein- und kein Freund austritt, dann wäre freilich nichts zu fürchten. So aber sind wir noch dreien sehr schlimmen und gefährlichen Winden ausgesetzt, dem Fleische, dem Teufel und der Welt. Heil der Seele, die immerdar kämpft, bis das Sterbliche verschlungen wird von dem Leben!

Bernhard von Clairvaux – Dein Baum

Wenn der Baum fällt, er falle gegen Mittag oder Mitternacht, auf welchen Ort er fällt, da wird er liegen, spricht der Prediger Salome. Der laue und sanft wehende Südwind pflegt in der heiligen Schrift etwas Gutes zu bedeuten, dem Nordwind wird alles Unheil zugeschrieben. Der Mensch gleicht einem Baume. Abgehauen wird er mit dem Tode und in der Richtung, in welcher er gefallen ist, bleibt er liegen. Nun siehe zu, nach welcher Seite dein Baum fallen wird, bevor er fällt, und um dieß zu können, habe Acht auf die Zweige. Wo sich die meisten finden, da wird auch die größere Last sein, und ohne Zweifel muß er nach dieser Seite hinsinken, wenn er abgeschnitten wird. Unter den Zweigen verstehe deine Wünsche; sind sie geistlich, so strecken sie sich nach Süden, sind sie fleischlich, so hängen sie nach Norden.

Bernhard von Clairvaux – Manche Christen

Für Manche ist Christus zwar geboren, gestorben und auferstanden, aber noch nicht gen Himmel gefahren. Sie sind den ganzen Tag andächtig gestimmt, weinen bei ihren Gebeten, seufzen bei ihren Betrachtungen, Alles ist ihnen feierlich und ein fortwahrendes Halleluja hören sie in ihren Herzen erklingen. Dieser Milch müssen sie entwöhnt werden, sie müssen feste Speise genießen lernen, und es ist ihnen gut, daß Christus hingeht. Doch wann werden sie dieß verstehen? Ueber Verlassenheit, über Entziehung der Gnade klagen sie. Allein sie mögen nur eine Weile warten, mögen in der Stadt harren, bis sie angethan werden mit der Kraft aus der Höhe, gleichwie die Apostel mit Pfingsten zu einer erhabneren Stufe der Liebe emporstiegen, wo sie nicht mehr nach Thränen suchten, sondern ihre Lust daran fanden, über das Böse zu triumphiren und den Satan unter die Füße zu treten.

Bernhard von Clairvaux – Jesus geht vorbei

Einst stellte sich der Herr, als wollte er weiter gehen, um den Jüngern die Bitte zu entlocken: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden! In ganz ähnlicher Weise verfährt er noch jetzt mit der frommen Seele. Er geht vorüber, um gehalten, er entfernt sich, um zurückgerufen zu werden, Denn das ewige Wort ist kein unwiederbringliches; es geht und kommt wieder nach Wohlgefallen; es scheidet nach seiner Weisheit, es kehrt zurück nach seiner Liebe. Seine Einkehr ist geheimnißvoll und wunderbar. Man fühlt, daß es da ist, man erinnert sich, daß es dagewesen, man kann seine Ankunft zuweilen vorausempfinden, aber den Punkt, wann es ein- oder austritt, niemals bestimmen.
Wer mag auch sagen, wie es in die Seele kommt. Ich fragte die Sinne, aber sie wußten nichts von dem, das nicht in die Sinne fällt, ich fragte mein Inneres, aber es antwortete: Wie kann das Gute aus mir entspringen, da in mir nichts Gutes wohnet? Ich stieg, so hoch ich konnte, aber das Wort blieb höher, als ich; ich senkte mich, so tief ich es vermochte, aber das Wort blieb allezeit unter mir. Da habe ich die Wahrheit des Ausspruchs erkannt: In ihm leben, weben und sind wir! Sind aber seine Wege so unerforschlich, mag Jemand einwenden, woher weißt du, daß es da ist? An seinen Werken, spreche ich. Denn lebendig und wirksam ist es; es bewegt und erweckt die schlummernde Seele, es verwundet und erweicht das harte Herz. Das Alte wird ausgerottet und niedergerissen, Neues gepflanzt und aufgebaut. Ueber das Dürre strömen Wasserquellen, in die Finsterniß scheint Licht hinein, das Verschlossene öffnet, das Kalte erwärmt sich. Das Krumme wird gerad, das Rauhe eben gemacht; fleischliche Lüste gehen, gute Empfindungen kommen. Da lobt die Seele den Herrn und Alles, was in ihr ist, seinen heiligen Namen.

Bernhard von Clairvaux – Die Geheimnisse Gottes

Wenn ich fühle, wie sich mein Verstand öffnet, daß ich die Schrift verstehe, wie mir aus der Tiefe gleichsam zuquellen oder aus der Höhe zuleuchten Blicke in die Geheimnisse Gottes, oder wie sich ein weiter Himmel in mir wölbt, der reichliche Ströme von heiligen Gedanken gleich Regen auf mich herabsendet, so zweifle ich nicht, daß der Sohn Gottes mir nahe ist. Denn des Wortes Kräfte sind dieß, und von seiner Fülle empfangen wir Solches. Wenn dann eine demüthige und tief andächtige Stimmung mich durchwehet, wenn die Liebe zur Wahrheit einen solchen Haß der Eitelkeit erzeugt, daß das Wissen nicht aufblähen mag, so merke ich eine mich väterlich leitende Hand und zweifle nicht, daß der Vater da ist. Und so geht die Verheißung des Herrn an mir in Erfüllung, daß Er mit dem Vater zu uns kommen und Wohnung bei uns machen wolle.

Bernhard von Clairvaux – Der Garten Gottes

Ich habe einen herrlichen Garten und einen köstlichen Ort gefunden; schön wäre es, wenn wir zusammen dort wohnen könnten. Denn auch für dich ist es nicht gut, in diesem Bette der Krankheit noch ferner zu liegen, auf diesem Schmerzenslager dich noch länger herumzuwerfen. Suche nur den Herrn; er ist nahe der Seele, die auf ihn hofft. Stelle dir indeß keinen irdischen Ort unter diesem Garten vor! Nicht mit Leibesfüßen, sondern mit Liebesfüßen geht man da hinein; nicht Bäume der Erde treten dir entgegen, sondern eine herrliche Pflanzung geistlicher Tugenden. Die Augen werden erleuchtet durch den Anblick der reinen Wahrheit; das Ohr wird erfreut von der lieblichen Stimme des innern Trösters; ein Hoffnungsduft strömt von dem vollen Acker, welche der Herr gesegnet hat; mit Lust kostet man von unvergleichlichen Liebesgerichten und Ruhe umfängt die Seele, nachdem sie von Dornen und Hecken, welche sie stachen, befreit und mit dem Oele des Erbarmens gesalbt ist. Siehe, das Alles bezieht sich nicht nur auf den Lohn des ewigen Lebens, sondern schon auf den Sold der Streiter in der Zeit, das Alles gehört schon zur Verheißung der gegenwärtigen Kirche; es ist das Hundertfältige, das in dieser Welt denen, die sie gering achten, zu Theil wird. Doch darfst du nicht glauben, daß ich dir Solches noch weiter durch künstliche Reden anpreisen werde. Der Geist allein offenbart es; in Büchern suchst du es vergeblich, frage die Erfahrung. Ist es doch die Freundlichkeit des Herrn; kostest du sie nicht, so lernst du sie nicht kennen. Kostet, heißt es, und sehet, daß der Herr freundlich ist. Ein verborgenes Manna ist es, ein neuer Name; nur der, welcher ihn empfangen hat, kennt ihn. Gelehrsamkeit lehrt ihn nicht, sondern die geistliche Salbung; nicht das Wissen, sondern das Herz begreift ihn.

 

Bernhard von Clairvaux – Heiligung

Ist schon der Wille geändert, das Fleisch bezwungen, die böse Quelle gleichsam vertrocknet, so muß doch das Gedächtniß noch rein werden. Wie soll aber mein Leben aus dem Gedächtniß weichen? Das dünne und zarte Blatt desselben hat so schwarze Tinte eingesogen, es ist durch und durch befleckt, nicht bloß auf der Oberfläche. Alles Kratzen ist vergeblich; eher zerschneide ich das Blatt, als ich die bösen Buchstaben vertilgen kann. Welches Messer ist nun geeignet, die Flecken zu beseitigen und das Gedächtniß dennoch zu erhalten? Kein anderes als das lebendige und kräftige Wort, schärser denn kein zweischneidiges Schwert: Dir sind deine Sünden vergeben! Mag der Pharisäer murren und sprechen: Wer kann Sünden vergeben, denn allein Gott? Der zu mir dieß spricht, ist ja Gott. Seine Huld vertilgt alle Sünden; nicht zwar, daß sie vergessen würden, wohl aber, daß sie das Gedächtniß nicht mehr beschmutzen. Denn nimm das Verdammliche hinweg, nimm Furcht und Schrecken hinweg, was durch die Vergebung geschieht; und die begangenen Sünden werden dir nicht blos nicht schaden, sondern selbst zum Besten dienen, da sie dich zum innigsten Danke gegen den mahnen, der sie dir verziehen hat.

Bernhard von Clairvaux – Der Gott der Rache

Er, der ein Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes genannt wird, heißt auch ein Gott der Rache, ein gerechter und starker Richter, ein eifriger Gott. Er rührt die Berge an, und sie rauchen, er kann Leib und Seele in die Hölle werfen. Wagst du es nun, elender Wurm, der durch ein leichtes Lüftchen verweht werden mag, eine solche Majestät zu reizen. Erschrickst du nicht vor der Verdammniß, nicht vor dem Antlitz des Richters, vor dem selbst die Engel erbeben? Denkst du nicht mit Zittern an den Zorn des Allmächtigen, an das Krachen der stürzenden Welt, an den Brand der Elemente, an die Stimme des Erzengels, an den nagenden Wurm, an das lodernde Feuer, an die äußerste Finsterniß? Sprich: Ach daß ich Wasser genug hätte in meinem Haupte und meine Augen Thränenquellen wären! Empfindest du Solches, dann erst bist du zur rechten Besinnung gekommen.