Bernhard von Clairvaux – Erkenntnis

Bevor wir aus der Finsterniß dieser Welt scheiden, müssen wir das Licht der Erkenntniß anzünden, um nicht von der zeitlichen Nacht in die ewige zu gerathen. Was ist das aber für eine Erkenntniß? Zu wissen, daß der Herr kommt; wissen wir gleich nicht, wann er kommt. Nicht Alle haben solche Erkenntniß. Denn denkst du wohl, daß Jene, die in ihren Sünden noch scherzen und jubeln, es wissen oder bedenken, daß der Herr kommt? Sagen sie es, so glaube ihnen nicht; denn wer da sagt: ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner. Die wahre Erkenntniß wirkt zuvörderst Buße und Schmerz, verwandelt das Lachen in Weinen, die Freude in Traurigkeit. Zweitens wirkt sie Besserung, daß man seine Glieder nicht mehr zu Waffen der Ungerechtigkeit macht, die Schwelgerei verbannt, den Stolz unterdrückt und den Körper in heiliger Ordnung hält. Weil dieß aber nicht anders geschehen kann, als daß der Geist nach allen Seiten hin seine Aufmerksamkeit richtet, so wirkt sie drittens Behutsamkeit. Man fängt an bedächtig vor seinem Gott zu wandeln und prüft sich gründlich, um auch nicht im Geringsten die hohe Majestät zu beleidigen.


Bernhard von Clairvaux – Kommen Christi

Wie Gott zum Heile der Welt einmal im Fleische und sichtbar erschienen ist, so kommt er noch täglich zur Rettung der einzelnen Seelen unsichtbar und im Geiste. Kann nun der arme Kranke dem große Arzte gleich nicht entgegengehen, so mag er wenigstens das Haupt aufrichten und sich vom Lager erheben, wenn er eintritt. Du brauchst, um selig zu werden, o Mensch, nicht das Meer zu überschiffen, nicht über die Wolken emporzudringen; keine lange Reise wird von dir verlangt. Gehe nur in dich und begegne da deinem Gott. Denn nahe ist dir das Wort in deinem Munde und in deinem Herzen. Erwecke dein Herz zur Reue und deinen Mund zum Bekenntnis. So wird die Kammer deines Gewissens vom Schmutze gereinigt werden und der Herr wird seinen Einzug bei dir halten.

Bernhard von Clairvaux – Pfingsten

Heute haben die Himmel gebraust vor dem Angesichte des Gottes von Sinai, vor dem Angesichte des Gottes Israel, und gnädiger Regen ist herabgefallen auf das Erbtheil Christi; denn der heilige Geist vom Vater ausgehend ist reichlich über die Apostel gekommen und hat ihnen Kräfte und Wundergaben geschenkt. Nachdem der Herr mächtig erstanden, glorreich aufgefahren, erhaben seinen Sitz genommen, fehlte nichts mehr, als daß die erwartete Freude über die Gerechten käme, und daß die himmlischen Menschen erfüllt würden mit himmlischen Gaben.

Bernhard von Clairvaux – Himmelfahrt

Heute ist der Herr des Himmels zur Höhe des Himmels mit himmlischer Macht gestiegen, hat die Schwachheit des Fleisches wie Gewölk von sich abgestreift und sich geschmückt mit dem Kleide der Herrlichkeit. Emporgestiegen ist die Sonne, verstärkt und ausgebreitet hat sie ihre Strahlen über die Erde hin, und nichts mag sich verbergen vor ihrer Hitze. Zurückgekehrt zum Sitze der Weisheit ist die Weisheit Gottes, wo Alle das Gute erkennen und lieben. Wir aber sind noch hier, wo viel Bosheit und wenig Weisheit gefunden wird. Darum lasset uns unsere Herzen und Hände zum Himmel erheben, lasset uns der Auffahrt des Herrn folgen, lasset uns in Andacht und Glauben zu ihm emporeilen. Seid ihr nun mit Christo auferstanden, so suchet, was droben ist, da Christus ist sitzend zu der Rechten Gottes.

Bernhard von Clairvaux – Himmelfahrt

Ein glorreiches und freudenreiches Fest, an dem uns Christi höchste Herrlichkeit gezeigt und die größte geistliche Freude gewährt wird. Denn es ist die Vollendung der übrigen Feste und ein seliger Schlußpunkt der ganzen Pilgerreise des Sohnes Gottes. Der herabstieg, ist derselbe, der nun heute hinaufsteigt über alle Himmel, um Alles zu erfüllen. Die Erde hatte ihn als Herrn erkannt, da sie auf seinen Ruf: Lazare, komm heraus! den Todten wiedergab; das Meer hatte ihn erkannt, da es stand hielt unter seinen Füßen; die Hölle hatte ihn erkannt, da er ihre Thore und Riegel zerbrach. Ja wahrhaftig, der die Todten auferweckte, die Aussätzigen reinigte, die Blinden sehend, die Lahmen gehend machte und alle Schwachheit heilte, er war der Herr aller Dinge. Um nun das Gewand Deiner Herrlichkeit zu vollenden, Herr Jesu, um unsern Glauben vollkommen zu befestigen, blieb nur noch übrig, daß Du im Angesicht Deiner Jünger mitten durch die Luft, als Herr auch der Luft, über alle Himmel aufstiegest. Nun hast Du Alles in Allem erfüllt und Dir gebührt, daß sich in Deinem Namen beugen Aller Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. Wir aber, Dein Volk und Schaafe Deiner Weide, wollen Dir folgen durch Dich zu Dir, denn Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben; der Weg durch das Beispiel, die Wahrheit in der Verheißung, das Leben im Lohne. Du hast Worte des ewigen Lebens und wir haben geglaubt und erkannt, daß Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.

Bernhard von Clairvaux – Schöpfung der Seele

Die selige und heilige Dreieinigkeit, Vater, Sohn und Geist, schuf die menschliche Seele nach ihrem Bilde und Gleichniß, da sie ihr Gedächtniß, Vernunft und Willen und damit Macht, Weisheit und Reinheit gab. Allein von dieser höchsten und herrlichsten Dreiheit fiel die Seele in eine entgegengesetzte und häßliche: in Schwäche, Blindheit und Getrübtheit. Denn das Gedächtniß ward ohnmächtig, die Vernunft finster, der Wille unrein. Das Gedächtniß im Besondern, gleichsam auf Felsen herabstürzend, zerspaltete sich wiederum in die Dreiheit von leidenschaftlichen, beschwerlichen und müßigen Gedanken. Auch der Fall der Vernunft war ein dreifacher. Sie sollte unterscheiden zwischen gut und böse, Wahrheit und Irrthum, Vortheil und Schaden. In diesem Geschäft aber ist sie so erblindet, daß sie oft Böses für Gutes, Irrthum für Wahrheit, Schaden für Vortheil ansieht. Auch der Wille endlich, der mit dem höchsten Gute vereint und verbunden bleiben sollte, ging vermittelst der Augenlust, der Fleischeslust und des hoffärtigen Wesens ganz in die Liebe der Welt und des Irdischen ein.

Bernhard von Clairvaux – Was ist Gott?

Was ist Gott? Die Länge und die Breite, und die Höhe und die Tiefe. Die Länge nach seiner Ewigkeit. Weder im Raume, noch in der Zeit hat er ein Ende. Die Breite nach seiner Liebe. Er hasset nichts von dem, das er gemacht hat, selbst die Feinde umschließen die Arme seines Erbarmens. Er lässet seine Sonne aufgehen über Böse und Gute, er lässet regnen über Gerechte und Ungerechte. Nicht blos alles Gefühl, alle Fassungskraft übersteigt seine Liebe; sie ist ewig, ja sie ist selbst eine Ewigkeit. Siehe nun, wie die Breite der Länge entspricht! Was ist Gott weiter? Die Höhe und die Tiefe. In der Höhe erkenne seine Macht, die unerreichbar, in der Tiefe seine Weisheit, die unerforschlich ist. O welch eine Tiefe des Reichthums beides der Weisheit und Erkenntniß Gottes; wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und wie unerforschlich seine Wege! ruft der Apostel aus. O mächtige Weisheit, die überall kräftig eingreift, o weise Macht, die Alles lieblich regelt und ordnet! Siehe da das große Wesen mit seinen mannigfachen Eigenschaften und verschiedenen Wirkungsweisen! Die Länge ist es nach seiner Ewigkeit, die Breite nach seiner Liebe, die Höhe nach seiner Allmacht, die Tiefe nach seiner Weisheit.

Bernhard von Clairvaux – Was ist Gott?

Was ist Gott? Er ist der, der da ist und auch der, ohne welchen nichts ist. So kann nichts ohne ihn, wie Er ohne sich nicht sein. Er ist für sich, er ist für alles. Wie alles in ihm, so ist er in allem. Er ist der, dem keine Zeiten zugeflossen und keine abgeflossen sind; von dem alles, durch den alles, in dem alles ist. Er ist das Höchste, das gedacht werden kann. Das heißt: Er ist die Wahrheit, die Weisheit, die Kraft, die Ewigkeit, das größte Gut, der Herr Zebaoth. Er ist der, der allein von einem Nichtwissen nichts weiß, der vielmehr ganz Licht und ganz Auge ist, ein Auge, das nie sich trügt, weil es nie sich schließt. Er bedarf kein Licht außer sich, um zu sehen. Er selber sieht und hat, worin er sieht. Er liebt als die Liebe, er weiß als die Wahrheit, er richtet als die Gerechtigkeit, er herrscht als die Majestät, er regiert als das Reich, er schützt als das Heil, er wirkt als die Macht, er offenbart als das Licht, er hilft als die Gnade. Was ist also Gott? Für alle das Endziel, für die Erwählten das Heil, für sich, was nur Er weiß.

Bernhard von Clairvaux – Psalm 91,15

V. 15 „Ich bin bei ihm in der Not.“ Es ist mir besser, in der Not sein, Herr, wenn du nur bei mir bist, als ohne dich zu herrschen, ohne dich Feste zu feiern, ohne dich geehrt zu werden. Es ist besser, in der Not von deinen Armen umfangen zu sein, besser, dich im glühenden Ofen der Trübsal bei mir zu haben, als selbst im Himmel zu sein ohne dich. Wenn ich dich nur habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Im Schmelztiegel wird das Gold erprobt, und in der Anfechtung der Not bewährt sich der Gerechte.

Bernhard von Clairvaux – Alle Tage

Eine sorgfältige Hausmutter tut alle Tage den Staub von ihrem Hausgerät, damit er sich nicht zu dick und fest ansetzt. Ein sorgfältiger, kluger Schiffer schöpft alle Tage das Wasser aus, das unbemerkt und allmählich in das Schiff dringt. Will der Mensch ein reines Herz behalten, so ist es nötig, dass er alle Tage den Schmutz wieder auskehre und das Gewissen durch tägliche Prüfung sauber halte. Sonst wird es mit Schmutz dermaßen gefüllt, dass er sich endlich selbst scheut und schämt, hineinzugehen und den Greuel der Verwüstung anzuschauen.