Die erste Forderung lautet: Aufrichtigkeit beim Geben; kein Trug beim Spenden. Man verspreche nicht, mehr geben zu wollen, und gebe nicht weniger. Wozu braucht es denn der Worte? Es wäre ein trügerisches Versprechen. Du hast es in der Gewalt, zu geben, was du willst. Der Trug untergräbt das Fundament, und das Werk stürzt ein. War es etwa nur aufbrausender Unwille bei Petrus, daß er den Ananias und sein Weib tot wissen wollte? Er wollte vielmehr durch ihr Beispiel die übrigen vor dem Untergang bewahren.
Auch das wäre nicht die vollkommene Freigebigkeit, wenn du mehr aus Prahlerei als aus Barmherzigkeit geben würdest. Deine Gesinnung gibt deinem Werk den verdienten Namen: nach dir bestimmt sich sein Wert. Du siehst, welchen Sittenrichter du hast. Dich selbst zieht er zu Rat, wie er dein Werk aufnehmen soll; deinen Geist befragt er zuallererst. „Deine Linke“, heißt es, „soll nicht wissen, was deine Rechte tut.“ Nicht deinen Leib meint er, sondern: selbst der Vertraute, der eines Sinnes mit dir ist, dein Bruder, soll nicht wissen, was du tust, damit du nicht im diesseitigen Streben nach dem Lohn des Ruhms die Frucht der Vergeltung im Jenseits verlierst. Vollkommen aber ist die Freigebigkeit, wenn einer sein Werk in Schweigen hüllt und den Nöten der einzelnen heimlich zu Hilfe kommt; wenn einen der Mund des Armen lobt und nicht die eigenen Lippen.
Schließlich wird die vollkommene Freigebigkeit durch Glauben, Beweggrund, Ort und Zeit empfohlen, so daß man zuerst an des Glaubens Genossen wirken soll. Groß ist die Schuld, wenn ein Glaubender darbt und du weißt davon; wenn du weißt, er ist ohne Mittel, erträgt Hunger, leidet Trübsal, zumal, wenn er sich seiner Bedürftigkeit schämt. Wenn er in einen Prozeß0 geraten ist, weil Angehörige verhaftet wurden oder man ihn verleumdet hat, und du hilfst ihm nicht. Wenn er im Gefängnis sitzt und, obwohl er gerecht ist, mit Qualen und Strafen bedrängt wird – denn wenn man auch allen Mitleid schuldet, so doch den Gerechten am meisten. Wenn er zur Zeit seiner Heimsuchung nichts von dir erhält. Wenn in der Stunde der Gefahr, da man ihn zum Tod schleppt, dir dein Geld mehr wert ist als das Leben des Sterbenden.
De officiis 1,146