Bernhard von Clairvaux – Gott sehen

Du siehst die Sonne nicht wie sie ist, sondern wie sie scheint in die Luft, auf den Berg, an die Wand. Du könntest auch dieß nicht, wenn nicht dein Auge irgend welche Verwandtschaft mit ihr hätte. So kann auch der Erleuchtete die himmlische Sonne der Gerechtigkeit, wie sie leuchtet, schon ans Erden sehen, aber noch nicht, wie sie ist. Hier wechseln die Formen, unter denen sich der Herr zeigt, einst aber werden wir ihm gleich sein und ihn sehen, wie er ist. Solches Schauen steht, weil die Form steht, unter der geschaut wird. Das Ist erleidet keine Veränderung, von dem, was war und sein wird. Denn was aus dem war kommt, eilt nach dem sein wird, und geht zwar durch das Ist hindurch, ist aber eigentlich gar nicht, weil es sich nicht gleich bleibt. Nimm aber war und sein wird hinweg, wo soll dann noch eine Veränderung oder ein Wechsel des Lichts und der Finsterniß herkommen? Wann also Er selber, der da ist, oder vielmehr, der nicht so oder so ist, wird gesehen werden, wie er ist, dann steht das Schauen unwandelbar. Und die Kinder Gottes werden nichts Lieberes sehen wollen, nichts Köstlicheres sehen können. Keine Sucht bringt da Ueberdruß; die Wonne vergeht nicht, die Wahrheit täuscht nicht, die Ewigkeit endet nicht. Der Wille und die Fülle bleiben, und damit die volle Seligkeit.