Bernhard von Clairvaux – Gottes Wille

Einst wird uns nicht so sehr dieß erfreuen, daß unser Kummer gestillt und großes Glück uns zu Theil geworden, als vielmehr, daß Gottes Wille in uns und an uns in Erfüllung gegangen; darum wir auch täglich im Vaterunser bitten, wenn wir sprechen: Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden! O heilige und keusche Liebe, o süße und liebliche Empfindung! O reines und ungetrübtes Leben des Willens, wo Nichts mehr von Eigenheit zurückgeblieben ist! So sein heißt Gott gleich werden. Wie ein kleiner Wassertropfen, unter vielen Wein geschüttet, ganz zu verschwinden scheint, da er Geschmack und Farbe des Weines annimmt; wie das Eisen sich ganz vom Feuer durchdringen läßt; wie die Luft, vom Sonnenscheine durchglänzt, in dieselbe Klarheit des Lichtes sich wandelt, so daß sie nicht sowohl erleuchtet, als selbst Licht zu sein scheint; so wird einst in den Heiligen alle menschliche Neigung zerfließen und sich ganz in den Willen Gottes auflösen. Denn wie sollte Gott Alles in Allen sein können, wenn irgend Etwas im Menschen vom Menschen übrig bliebe? Verbleiben wird zwar das Wesen, aber in anderer Gestalt, in anderer Herrlichkeit, in anderer Kraft.

Bernhard von Clairvaux – Ewigkeit

O seliges Land der himmlischen Heimath, wo der dreieinige Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut wird, wo jene erhabenen Engelschaaren unter tiefem Rauschen der Flügel zu rufen nicht aufhören: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth! in dir ist Wonne, in dir ist Licht, in dir ist Reichthum, in dir ist Friede, in dir ist anbetendes Staunen. O hohes Land, aus dem Thale der Thränen seufzen wir zu dir empor, da Gott Alles in Allen sein, da die enthüllten Wunder der Welt den Schöpfer preisen und die Kreaturen mit Seligkeit erfüllen werden. Eile hinauf, du geistliche Seele, mit den Augen der Sehnsucht, siehe den König der Ehren in seinem Glanze! Legionen von Engeln und Schaaren von Heiligen reihen sich um ihn, der die Stolzen erdrückt und die Demüthigen erhebt, die Teufel verdammt und die Menschen erlöst.

Bernhard von Clairvaux – Gott sehen

Du siehst die Sonne nicht wie sie ist, sondern wie sie scheint in die Luft, auf den Berg, an die Wand. Du könntest auch dieß nicht, wenn nicht dein Auge irgend welche Verwandtschaft mit ihr hätte. So kann auch der Erleuchtete die himmlische Sonne der Gerechtigkeit, wie sie leuchtet, schon ans Erden sehen, aber noch nicht, wie sie ist. Hier wechseln die Formen, unter denen sich der Herr zeigt, einst aber werden wir ihm gleich sein und ihn sehen, wie er ist. Solches Schauen steht, weil die Form steht, unter der geschaut wird. Das Ist erleidet keine Veränderung, von dem, was war und sein wird. Denn was aus dem war kommt, eilt nach dem sein wird, und geht zwar durch das Ist hindurch, ist aber eigentlich gar nicht, weil es sich nicht gleich bleibt. Nimm aber war und sein wird hinweg, wo soll dann noch eine Veränderung oder ein Wechsel des Lichts und der Finsterniß herkommen? Wann also Er selber, der da ist, oder vielmehr, der nicht so oder so ist, wird gesehen werden, wie er ist, dann steht das Schauen unwandelbar. Und die Kinder Gottes werden nichts Lieberes sehen wollen, nichts Köstlicheres sehen können. Keine Sucht bringt da Ueberdruß; die Wonne vergeht nicht, die Wahrheit täuscht nicht, die Ewigkeit endet nicht. Der Wille und die Fülle bleiben, und damit die volle Seligkeit.

Bernhard von Clairvaux – Dreifache Eitelkeit

Einer dreifachen Eitelkeit ist hier die Creatur unterworfen. Die Vernunft leidet an Irrthümern, der Wille an Leidenschaften, das Gedächtniß an Vergessenheit. Einst soll es anders sein. Der Herr wird für die Vernunft die Fülle des Lichts, für den Willen der Reichthum des Friedens, für das Gedächtniß die Länge der Ewigkeit sein. O Wahrheit, o Liebe, o Ewigkeit! O selige und beseligende Dreieinigkeit, zu Dir seufzt dein verderbtes Abbild empor, da es in so trauriger Fremde weilt und sich mit Irrthum, Schmerz und Schrecken plagt. Mein Herz ist zerrissen, daher der Schmerz; meine Kraft hat mich verlassen, daher der Schreck, und das Licht meiner Augen ist nicht bei mir, daher der Irrthum. Doch was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, wenn ich einst von jener wunderbaren Klarheit, von jener vollen Liebe und jener endlosen Ruhe umgeben sein werde.

Bernhard von Clairvaux – Auferstehung

Er selber, der Herr Zebaoth, der Herr der Herren und der König der Könige, wird einst herabsteigen, um unsere sterblichen Leiber lebendig und seinem verklärten Leibe ähnlich zu machen. Welche Feierlichkeit, welcher Jubel, wann der Schöpfer der Welt, der einst zur Rettung unserer Seelen niedrig und verborgen kam, um dich, o armes Fleisch, zu verherrlichen, in seiner Glorie und Majestät erscheinen wird! Wer mag ihn denken, jenen Tag der Wiederkunft, wo er herabfahren wird, vom ewigen Lichte umflossen! wo die Engel voraneilen und mit Posaunenhall die Todten aus den Gräbern rufen werden! O dann werden die Wünsche der Gläubigen ganz erfüllt, dann werden alle Lande voll der Ehre des Herrn werden!

Bernhard von Clairvaux – Du bist Erde

Aus Erden werden wir geboren, auf Erden sterben wir und kehren wieder zurück zur Erde, daraus wir genommen sind. Unser Eingang ist beschränkt, unser Aufenthalt kurz, der Tod allein gewiß. Sehr vermehrt, weit verbreitet hat sich Adam und die ganze Erde ringsum erfüllt. Aber mag er wollen oder nicht wollen, mag er sich sträuben, so viel er vermag; an dem ganzen Leibe muß er den Urteilsspruch erfahren, den er sich zugezogen hat, das Wort: du bist Erde, und sollst zur Erde werden!

Bernhard von Clairvaux – Der Tod

Mögen sie auch groß und ehrenvoll scheinen, die Güter, welche die Welt ihren Freunden bietet; wie darauf nicht zu bauen ist, kann Jeder erkennen. Gewiß ist es, daß sie nur kurze Zeit bestehen, und daß das Ende dieser kurzen Zeit ungewiß ist. Denn was ist gewisser in menschlichen Dingen, als der Tod, was ungewisser, als des Todes Stunde? Er hat auch kein Mitleid mit der Armuth, keine Achtung vor dem Reichthum, verschont kein Geschlecht, ja kein Lebensalter, nur daß er bei Greisen in der Thür, bei Jünglingen im Hinterhalt steht. Wehe dir, wenn du auf die Schlüpfrigkeit dieses Lebens vertrauend nicht merkst, daß es ein Dampf ist, der nur kurze Zeit währet, voll von Nichtigkeit. Hast du endlich die Würde erlangt, nach der du so lange mit Ehrgeiz strebtest: erhalte denn, was du hast. Hast du deinen Kasten mit Geld gefüllt: kümmere dich, daß du es nicht verlierest. Hat dein Acker reiche Frucht getragen: brich die Scheuern ab, um größere zu bauen, sprich zu deiner Seele: du hast einen großen Vorrath auf viele Jahre! Doch ein Anderer wird sagen: Du Narr, in dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern und weß wird’s sein, das du bereitet hast? Und wenn es nur noch an dem Verluste des Erworbenen genug wäre, wenn nur nicht der Besitzer zugleich unterginge; denn eher ließe es sich entschuldigen, wenn sich Jemand mit vergänglicher, als daß er sich mit verderblicher Arbeit abmüht. Nun aber ist der Tod der Sünde Sold, und wer auf sein Fleisch säet, der wird vom Fleische das Verderben erndten.

Bernhard von Clairvaux – Erfolg des Gebetes

Was ist es, sprechen Manche, daß wir, obwohl wir immerdar beten, doch keine Frucht unseres Gebetes sehen? Wie wir hinzutreten, so kommen wir wieder, Niemand antwortet uns ein Wort, Niemand schenkt uns Etwas, vergeblich scheinen wir gearbeitet zu haben. Was spricht aber der Herr im Evangelio? Richtet nicht, sagt er, nach dem Augenscheine, sondern richtet ein gerechtes Gericht! Was ist aber das gerechte Gericht anders, als ein Gericht des Glaubens? So folge denn dem Gerichte des Glaubens, und nicht deiner Erfahrung. Der Glaube ist wahrhaftig, die Erfahrung trügt. Die Wahrheit des Glaubens liegt aber in dem Worte des Sohnes Gottes: Alles, was ihr bittet in eurem Gebete, glaubet nur, daß ihr es empfangen werdet, so wird es euch werden. Darum achte Keiner sein Gebet gering; denn der, zu dem wir beten, achtet es nicht gering. Bevor es noch unserm Munde entströmt, läßt er es schon in sein Buch verzeichnen, und auf Eins von beiden können wir sicher hoffen: Entweder wird uns zu Theil, was wir bitten, oder es wird uns etwas Besseres gegeben. So schenkt auch der leibliche Vater dem Kinde, das nach Brod verlangt, solches gern; will es aber ein Messer dazu, so widersteht er, und bricht ihm entweder selbst das Brod, oder läßt es ihm von Andern brechen, um es der Gefahr und Mühe zu überheben.

Bernhard von Clairvaux – Zeit zum Beten

Sehr günstig zum Gebete sind die Stunden, wo der nächtliche Schlummer ringsum tiefes Schweigen gebietet, gleichwie geschrieben steht: Erhebe dich des Nachts und schreie! Wie sicher steigt da das Gebet empor, wo Gott allein und der heilige Engel, der es vor seinen Thron bringt, Zeugen sind! Wie strahlt es da von Lieblichkeit und Bescheidenheit! Wie strömt es so heiter und still, unberührt von Lärm und Getümmel! Wie bleibt es so rein und lauter, wo kein Staub irdischer Sorge es färben, kein Lob oder Schmeichelwort eines Menschen es trüben kann! Siehe, zu solcher Zeit suche den Herrn, und zwar nur den Herrn, da du in ihm Alles findest: Balsam für deine Wunden, Hülfe in deiner Noth, Ersatz für deine Mängel, Güter für dein Glück, ja Alles, was du dir wünschen magst.

Bernhard von Clairvaux – Das Gebet

Das Gebet darf nicht ängstlich und schüchtern, nicht matt und lau, am wenigsten aber frech und anmaßend sein. Ein ängstliches Gebet dringt nicht zum Himmel ein, die übermäßige Furcht hält die Seele darnieder, sie kann nicht steigen, ja nicht einmal schreiten. Ein laues Gebet versucht wohl die Erhebung, fällt aber bald wieder zurück. Ein freches Gebet erhebt sich hoch, wird aber tief herabgeworfen; es erlangt keine Gnade, sondern häuft neue Schuld. Nur das gläubige, demüthige und innige Gebet dringt ohne allen Zweifel in den Himmel ein, und kann nicht leer von da wiederkommen.