Bernhard von Clairvaux – Der christliche Glaube

Darin giebt sich der christliche Glaube kund, daß, wer da lebt, nicht mehr sich selber lebt, sondern Ihm, der für Alle Mensch geboren ist. Hier mag nun aber Niemand sagen: Ihm will ich leben, doch meinem Nächsten nicht! Denn Er hat ja nicht allein für Alle gelebt, sondern ist auch für Alle gestorben. Wie will Ihm nun der leben, der sich um die nicht kümmert, die also von Ihm geliebt worden sind? Wie will Ihm der leben, der sein Gesetz nicht hält, sein Gebot nicht erfüllt? Willst du das Gesetz, willst du das Gebot wissen? Das ist, spricht Er, mein Gebot, daß ihr euch unter einander liebet, wie ich euch geliebet habe, und sein Apostel: Einer trage des Andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

Bernhard von Clairvaux – Gottes Wege

Ich rathe euch, meine Freunde, zuweilen den Fuß von der ängstlichen und beschwerlichen Erinnerung an eure bösen Wege zurückzuziehen, und auf die ebenen und lieblichen Pfade des Andenkens an die göttlichen Wohlthaten zu treten, damit ihr, wenn ihr dort zerschlagen seid, hier wieder Erquickung findet. Nothwendig ist allerdings der Schmerz über die Sünde, aber er muß nicht immerfort währen; er muß untermischt sein mit dem fröhlichen Gedächtniß der göttlichen Liebe. Fern sei es, zu denken wie Cain: Meine Sünde ist größer, denn daß sie mir vergeben werden möge! Nein, des Herrn Liebe ist größer, als jede Sünde. Weil es aber unmöglich ist, all des Guten, was der barmherzige Herr unaufhörlich uns Sterblichen giebt, zu gedenken, so möge doch wenigstens das höchste und vorzüglichste Werk, das Werk der Erlösung nimmer aus unserer Erinnerung weichen. Dieß zu bedenken, ist eine Pflanzstätte seliger Hoffnung, dieß der stärkste Liebessporn.

Bernhard von Clairvaux – Nachfolge

Wer auch im Geiste wandelt, schreitet doch nicht immer mit gleicher Leichtigkeit fort. Denn der Weg des Menschen steht nicht in seiner Macht, sondern der Geist Gottes giebt ihm die Richtung. So kommt es, daß er bald langsamer, bald schneller vergißt, was dahinten ist, und sich streckt nach dem, was vor ihm liegt. Merkst du nun aber, daß du schlaff und der geistlichen Frische beraubt bist, so verzweifle deshalb nicht, sondern suche die Hand des Herrn, bis er durch neue Gnadenströme deine sinkenden Kräfte aufrichtet. Ist die Bitte erhört, so freue dich, aber bedenke wiederum, daß du kein Recht auf den steten Besitz solcher Gabe hast, damit du nicht von Neuem verzagest, wenn sie dir entzogen wird. Demnach wirst du weise sein, wenn du am guten Tage des bösen, und am bösen des guten nicht vergissest. Fühlst du dich kräftig, so werde nicht sicher, sondern rufe Gott an, und sprich: Wenn ich schwach werde, verlaß mich nicht; bist du von Anfechtungen umgeben, so sei getrost und sprich: Ziehe mich Dir nach!

Bernhard von Clairvaux – Auf den Herrn hoffen

Wer steht und nicht fallen will, der vertraue nicht auf sich, sondern stütze sich auf den Herrn. Der Herr spricht: Ohne mich könnet ihr nichts thun. So ists; weder zum Guten ausstehen, noch im Guten bestehen können wir ohne Gott. Du, der du stehest, gieb ihm die Ehre; dessen Hand dich aufrichtet, dessen Kraft muß dich auch halten. Durch sie kannst du aber auch Alles überwinden. Oder sollte dein nicht Alles möglich sein, der sich auf den Allmächtigen stützt? O gewiß, allmächtig macht er Alle, die auf ihn hoffen!

Bernhard von Clairvaux – Mein Ruhm

Wenn ich mich rühmen soll, so hat mich Paulus gelehrt, wie und worin. Unser Ruhm, spricht er, ist der, nämlich das Zeugniß unsres Gewissens. Getrost rühme ich mich daher, wenn ich nach dem Zeugniß meines Gewissens mir nichts von dem Ruhme des Schöpfers anmaße; ganz getrost, weil nicht wider den Herrn, sondern im Herrn. Solches Rühmen wird uns nicht nur nicht verboten, sondern selbst geheißen, wenn der Herr tadelnd sagt: Von einander nehmet ihr Ehre, und die Ehre, die von Gott allein ist, suchet ihr nicht! Gehet nun, ihr eitlen Menschenkinder, die ihr euch gegenseitig belüget. Ein weiser Mann wird sein Werk im Lichte der Wahrheit preisen und so Ruhm in sich selber, und nicht im Munde des Andern haben. Ein Thor wäre ich, wollte ich der Lade deiner Lippen meinen Ruhm anvertrauen und bei dir betteln, wenn ich etwas davon zu nehmen wünschte. Nein, behalte ich ihn bei mir, so hebe ich mir ihn sichrer auf; oder vielmehr gebe ihm dem aufzuheben, der mir meine Beilage bewahren kann bis an jenen Tag. Alsdann wird von Gott Lob widerfahren einem Jeglichen, der menschliches Lob verachtet hat.

Bernhard von Clairvaux – Demut

Der Fromme ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen. Wo fließen die Bäche? In Niederungen und Thälern. So wähle auch du ein Thal zu deinem Wandel, ein Thal zu deiner Pflanzung. Auf den Bergen ist es dürr und hart, auf den Bergen hat die alte Schlange ihre Wohnung genommen. In den Thälern ist es fruchtbar und frisch, da gedeihen die Bäume, da prangen volle Aehren, da erndtet man hundertfältig. In das Thal der Demuth läßt Gott alle seine Gnade fließen, und darum bleibe fest in ihr gewurzelt und gegründet.

Bernhard von Clairvaux – Hochmut

Höre das Elend, das mich drückt, erschrick davor, und lerne dich selbst verleugnen. Der Teufel fiel einst durch Hochmut; und da ich mich naher prüfe, so finde ich mich von derselben Pest angesteckt. Zitternd und erbebend spreche ich: Ist es also einem Engel ergangen, wie soll es mir ergehen, der ich Asche bin? Jener ward im Glanze des Himmels stolz, ich werde es im Staube der Erde. Wie viel erträglicher ist es, reich und stolz, als arm und stolz zu sein! Aber schon leide ich Strafe, schon fühle ich harte Pein. Ich bin schlaff und kalt, mein Geist ist wie erloschen. Wehe mir! Ich wandelte gut, aber siehe, da kam ein Stein des Anstoßes, ich stieß und stürzte. Stolz ward in mir erfunden und der Herr hat sich im Zorn von seinem Knechte gewandt. Ach, wie ist mein Herz so vertrocknet, dem dürren Erdreich gleich geworden, wie sind alle Thränen so versiegt? Kein geistliches Lied will mir mehr klingen, Schrift und Gebet nicht schmecken, alle Gedanken der Andacht sind von mir gewichen. Zur Arbeit bin ich trag, zum Zorn und Hasse geneigt. Wo ist jene Heiterkeit des Sinnes, wo der Friede und die Freude im heiligen Geist? Wie Andere doch so ausdauernd in der Geduld, so sanftmüthig und demüthig, so mitleidsvoll und barmherzig, so andächtig und gebetsreich sind! Wie die Gnade auf sie herabfließt, und wie sie den Bergen gleichen, welche der Herr besucht! Aber ach, ich bin einer von den Bergen Gilboas, vor denen der gütigste Gast nun in seinem Zorne vorübergeht!

Bernhard von Clairvaux – Gekreuzigt der Welt

Heil denen, die in dieser Welt als Fremdlinge und Pilgrimme wandeln. Ein Fremder geht den kürzesten Weg. Nach dem Vaterlande verlangt und strebt er; hat er Nahrung und Kleider, so laßt er sich begnügen, und will sich nicht mit andern Dingen beschweren. Noth höher jedoch stehen die, von denen der Apostel sagt: Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott! Der Fremdling wird oft durch Allerlei, was er sieht und hört, länger, als er sollte, aufgehalten; der Todte fühlt es nicht einmal, wenn ihm das Begräbnis) fehlt. Er vernimmt weder Tadel noch Lob, weder Schmeichelei noch Verleumdung. Ein glücklicher Tod, der den Menschen so unbefleckt erhält, ja ganz entfremdet von der Welt! Wer nicht mehr in sich lebt, in dem muß ja Christus leben. Denn obwohl ein Solcher für alles Andere todt ist, nichts davon fühlt, nicht darauf achtet, nicht dafür sorgt; so findet ihn doch das, was Christum angeht, immerdar lebendig und bereit. Aber vielleicht kann ein noch erhabnerer Standpunkt gefunden werden und bei wem sollen wir ihn anders suchen, als bei ihm, der bis in den dritten Himmel entzückt ward? Höre den Paulus, wie er von einer solchen Höhe herab spricht: Es sei fern von mir, zu rühmen, denn allein von dem Kreuz unsres Herrn Jesu Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt. Nicht allein „gestorben,“ sondern auch „gekreuzigt der Welt,“ sagt er. Ich jener, sie mir. Alles, was die Welt liebt, ist mir ein Kreuz: Fleischeslust, hohe Aemter, Reichthümer, eitles Menschenlob; was aber die Welt für Kreuz hält, dem hange ich an, dem hafte ich an, dem bin ich zugethan mit ganzer Seele. Ist diese Stufe nicht noch höher, als die erste und zweite?

Bernhard von Clairvaux – Weltverleugnung

Ich sehe, wie das Geschlecht der Menschen vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne den Markt dieser Welt durchstreift. Einige suchen nach Reichthümern, Andere nach Aemtern und Würden, noch Andere nach eitlem Ruhme? Was soll ich von den Reichthümern sagen? Werden sie nicht mit Mühe erworben, mit Furcht besessen und mit Schmerz verloren? Siehe, welche Arbeit machst du dir um vergänglicher Güter willen! Obwohl du nach des Weisen Ausspruche nur drei Finger breit vom Tode bist, fährst du über das Meer, fliehest das Vaterland, lässest die Eltern, scheidest von Weib und Kind, vergissest alle Banden der Freundschaft, um zu suchen, was du sammlest, um zu sammeln, was du verlierest, um zu verlieren, was du beklagest. Menschenkinder, wie lange wollt ihr trunken sein, wie lange wollt ihr das Eitle lieben? Was soll ich von großen Würden sagen? Du bist in ein hohes Amt gesetzt, man hat dich an die Spitze bedeutender Angelegenheiten gestellt. Welche Rechenschaft wird Gott von dir fordern, wie wirst du von Menschen beobachtet, wie tritt Alles auf, um gleichsam an dir zu ziehen und zu reißen! Wer kann auf Höhen ohne Wehen, in Würden ohne Bürden sein? Wo soll dein Ruhm herkommen, du Staubgeborner, du Bewohner der lehmernen Hütte, du unreines Gefäß? Nicht dir, nicht dir, dem Namen des Herrn gebühret Ehre. Kannst du auch deinen Ruhm suchen, ohne den Neid gegen dich aufzuwecken? Siehe auf die hin, über die du dich stellst und merke, wie vielen Saamen der Mißgunst du gestreut hast, wie man dich überall mit scheelen Blicken betrachtet. Was dir schmeichelt, bringt dir Haß; was dich hebt, drückt dich nieder. Das sind nun die Waaren, um deren Ankauf sich die Thoren mühen und plagen; der Weise aber dreht dem Kram seinen Rücken, bindet sich die Weltverleugnung darauf und geht davon.

Bernhard von Clairvaux – Erkenntnis Gottes

Der Apostel ermahnt uns, daß wir begreifen mögen mit allen Heiligen, welche da sei die Breite, und die Länge, und die Tiefe, und die Höhe. Wir wissen: Gott ist die Länge um seiner Ewigkeit, die Breite um seiner Liebe, die Tiefe um seiner Weisheit, die Höhe um seiner Majestät willen. Haben wir aber damit etwa Gott schon begriffen? Rede und Sprache begreifen sein Wesen nicht, und doch begreifen es die Heiligen. Wie geschieht das? sprichst du. Bist du heilig, so hast du es begriffen und weißt es; wo nicht, so werde heilig und du wirst es begreifen. Heilig aber wird man durch Gottesfurcht und durch Gottesliebe. Mit diesen zween Armen greift die Seele, faßt sie, bindet sie, hält sie. Liebe treu und beständig, so hast du die Lange, erstrecke deine Liebe auch auf die Feinde, so hast du dir Breite, sei immerdar schüchtern und demüthig, so hast du die Höhe und Tiefe begriffen.