Ist schon der Wille geändert, das Fleisch bezwungen, die böse Quelle gleichsam vertrocknet, so muß doch das Gedächtniß noch rein werden. Wie soll aber mein Leben aus dem Gedächtniß weichen? Das dünne und zarte Blatt desselben hat so schwarze Tinte eingesogen, es ist durch und durch befleckt, nicht bloß auf der Oberfläche. Alles Kratzen ist vergeblich; eher zerschneide ich das Blatt, als ich die bösen Buchstaben vertilgen kann. Welches Messer ist nun geeignet, die Flecken zu beseitigen und das Gedächtniß dennoch zu erhalten? Kein anderes als das lebendige und kräftige Wort, schärser denn kein zweischneidiges Schwert: Dir sind deine Sünden vergeben! Mag der Pharisäer murren und sprechen: Wer kann Sünden vergeben, denn allein Gott? Der zu mir dieß spricht, ist ja Gott. Seine Huld vertilgt alle Sünden; nicht zwar, daß sie vergessen würden, wohl aber, daß sie das Gedächtniß nicht mehr beschmutzen. Denn nimm das Verdammliche hinweg, nimm Furcht und Schrecken hinweg, was durch die Vergebung geschieht; und die begangenen Sünden werden dir nicht blos nicht schaden, sondern selbst zum Besten dienen, da sie dich zum innigsten Danke gegen den mahnen, der sie dir verziehen hat.
Tag: 22. Dezember 2017
Bernhard von Clairvaux – Der Gott der Rache
Er, der ein Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes genannt wird, heißt auch ein Gott der Rache, ein gerechter und starker Richter, ein eifriger Gott. Er rührt die Berge an, und sie rauchen, er kann Leib und Seele in die Hölle werfen. Wagst du es nun, elender Wurm, der durch ein leichtes Lüftchen verweht werden mag, eine solche Majestät zu reizen. Erschrickst du nicht vor der Verdammniß, nicht vor dem Antlitz des Richters, vor dem selbst die Engel erbeben? Denkst du nicht mit Zittern an den Zorn des Allmächtigen, an das Krachen der stürzenden Welt, an den Brand der Elemente, an die Stimme des Erzengels, an den nagenden Wurm, an das lodernde Feuer, an die äußerste Finsterniß? Sprich: Ach daß ich Wasser genug hätte in meinem Haupte und meine Augen Thränenquellen wären! Empfindest du Solches, dann erst bist du zur rechten Besinnung gekommen.
Bernhard von Clairvaux – Buße
Was zögern die Menschen in ihrem Leben mit der Buße, und verschieben das Bekenntniß der Sünde bis an’s Ende? Wenn ich mich recht erinnere, so findet man in der ganzen heiligen Schrift bloß ein einziges Beispiel so später Errettung, den Schacher am Kreuze. Baue daher nicht auf eine so gefahrvolle Aussicht! Zwar wehet der Geist nicht bloß, wo er will, sondern auch wann er will, und keineswegs ist es ihm schwer, dem Einen im Augenblicke eine so vollkommene bußfertige Gesinnung einzuflößen, wie sie Andere kaum nach langer Zeit gewinnen; aber wer giebt dir die Bürgschaft, daß er dir, da du ihn jetzt so schnöde zurückstoßest, am Ende zu Hülfe kommen werde? Gnädig zwar ist der Geist der Weisheit, den Lästerer jedoch wird er nicht ungestraft lassen. Ein Lästerer aber ist, wer auf Hoffnung sündigt.
Bernhard von Clairvaux – Unsere Werke
Keineswegs vergehen unsere Werke, wie es scheint, sondern als ein zeitlicher Saame werden sie gestreut, um in der Ewigkeit auszugehen. Staunen wird der Thor, wenn er aus dieser geringen Saat eine große Ernte wird erstehen sehen. Man säet immerfort, ohne es zu wissen; man säet, wenn man schon sein Unrecht verbirgt, seine eiteln Absichten verhehlt, in der Finsterniß Werke der Finsterniß vollbringt. Wände decken mich von allen Seiten, spricht man, wer sieht mich? Ein Mensch sieht dich freilich nicht; aber böse Engel sehen dich, gute Engel sehen dich, Gott sieht dich. Es sieht dich der Ankläger, es sieht dich eine Menge von Zeugen, es sieht dich der Richter, vor dessen Augen zu sündigen ebenso unbesonnen, als in dessen Hände zu fallen erschrecklich ist. Darum sei nicht sicher; es ist ein Hinterhalt verborgen, vor dem du dich nicht verbergen kannst. Der das Ohr gepflanzt hat, hort, der das Auge geschaffen hat, sieht. Die Strahlen dieser Sonne brechen sich an keiner Mauer von Stein, auch die Wände des Körpers können ihren Blick nicht hemmen. Bloß ist alles vor den Augen der Wahrheit und schärfer ist sie, denn kein zweischneidiges Schwert. Nichts ist verborgen, das nicht offenbar werde, noch heimlich, das man nicht wissen werde.
Bernhard von Clairvaux – Erkenntnis
Bevor wir aus der Finsterniß dieser Welt scheiden, müssen wir das Licht der Erkenntniß anzünden, um nicht von der zeitlichen Nacht in die ewige zu gerathen. Was ist das aber für eine Erkenntniß? Zu wissen, daß der Herr kommt; wissen wir gleich nicht, wann er kommt. Nicht Alle haben solche Erkenntniß. Denn denkst du wohl, daß Jene, die in ihren Sünden noch scherzen und jubeln, es wissen oder bedenken, daß der Herr kommt? Sagen sie es, so glaube ihnen nicht; denn wer da sagt: ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner. Die wahre Erkenntniß wirkt zuvörderst Buße und Schmerz, verwandelt das Lachen in Weinen, die Freude in Traurigkeit. Zweitens wirkt sie Besserung, daß man seine Glieder nicht mehr zu Waffen der Ungerechtigkeit macht, die Schwelgerei verbannt, den Stolz unterdrückt und den Körper in heiliger Ordnung hält. Weil dieß aber nicht anders geschehen kann, als daß der Geist nach allen Seiten hin seine Aufmerksamkeit richtet, so wirkt sie drittens Behutsamkeit. Man fängt an bedächtig vor seinem Gott zu wandeln und prüft sich gründlich, um auch nicht im Geringsten die hohe Majestät zu beleidigen.
Bernhard von Clairvaux – Kommen Christi
Wie Gott zum Heile der Welt einmal im Fleische und sichtbar erschienen ist, so kommt er noch täglich zur Rettung der einzelnen Seelen unsichtbar und im Geiste. Kann nun der arme Kranke dem große Arzte gleich nicht entgegengehen, so mag er wenigstens das Haupt aufrichten und sich vom Lager erheben, wenn er eintritt. Du brauchst, um selig zu werden, o Mensch, nicht das Meer zu überschiffen, nicht über die Wolken emporzudringen; keine lange Reise wird von dir verlangt. Gehe nur in dich und begegne da deinem Gott. Denn nahe ist dir das Wort in deinem Munde und in deinem Herzen. Erwecke dein Herz zur Reue und deinen Mund zum Bekenntnis. So wird die Kammer deines Gewissens vom Schmutze gereinigt werden und der Herr wird seinen Einzug bei dir halten.
Bernhard von Clairvaux – Pfingsten
Heute haben die Himmel gebraust vor dem Angesichte des Gottes von Sinai, vor dem Angesichte des Gottes Israel, und gnädiger Regen ist herabgefallen auf das Erbtheil Christi; denn der heilige Geist vom Vater ausgehend ist reichlich über die Apostel gekommen und hat ihnen Kräfte und Wundergaben geschenkt. Nachdem der Herr mächtig erstanden, glorreich aufgefahren, erhaben seinen Sitz genommen, fehlte nichts mehr, als daß die erwartete Freude über die Gerechten käme, und daß die himmlischen Menschen erfüllt würden mit himmlischen Gaben.
Bernhard von Clairvaux – Himmelfahrt
Heute ist der Herr des Himmels zur Höhe des Himmels mit himmlischer Macht gestiegen, hat die Schwachheit des Fleisches wie Gewölk von sich abgestreift und sich geschmückt mit dem Kleide der Herrlichkeit. Emporgestiegen ist die Sonne, verstärkt und ausgebreitet hat sie ihre Strahlen über die Erde hin, und nichts mag sich verbergen vor ihrer Hitze. Zurückgekehrt zum Sitze der Weisheit ist die Weisheit Gottes, wo Alle das Gute erkennen und lieben. Wir aber sind noch hier, wo viel Bosheit und wenig Weisheit gefunden wird. Darum lasset uns unsere Herzen und Hände zum Himmel erheben, lasset uns der Auffahrt des Herrn folgen, lasset uns in Andacht und Glauben zu ihm emporeilen. Seid ihr nun mit Christo auferstanden, so suchet, was droben ist, da Christus ist sitzend zu der Rechten Gottes.
Bernhard von Clairvaux – Himmelfahrt
Ein glorreiches und freudenreiches Fest, an dem uns Christi höchste Herrlichkeit gezeigt und die größte geistliche Freude gewährt wird. Denn es ist die Vollendung der übrigen Feste und ein seliger Schlußpunkt der ganzen Pilgerreise des Sohnes Gottes. Der herabstieg, ist derselbe, der nun heute hinaufsteigt über alle Himmel, um Alles zu erfüllen. Die Erde hatte ihn als Herrn erkannt, da sie auf seinen Ruf: Lazare, komm heraus! den Todten wiedergab; das Meer hatte ihn erkannt, da es stand hielt unter seinen Füßen; die Hölle hatte ihn erkannt, da er ihre Thore und Riegel zerbrach. Ja wahrhaftig, der die Todten auferweckte, die Aussätzigen reinigte, die Blinden sehend, die Lahmen gehend machte und alle Schwachheit heilte, er war der Herr aller Dinge. Um nun das Gewand Deiner Herrlichkeit zu vollenden, Herr Jesu, um unsern Glauben vollkommen zu befestigen, blieb nur noch übrig, daß Du im Angesicht Deiner Jünger mitten durch die Luft, als Herr auch der Luft, über alle Himmel aufstiegest. Nun hast Du Alles in Allem erfüllt und Dir gebührt, daß sich in Deinem Namen beugen Aller Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. Wir aber, Dein Volk und Schaafe Deiner Weide, wollen Dir folgen durch Dich zu Dir, denn Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben; der Weg durch das Beispiel, die Wahrheit in der Verheißung, das Leben im Lohne. Du hast Worte des ewigen Lebens und wir haben geglaubt und erkannt, daß Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.
Bernhard von Clairvaux – Schöpfung der Seele
Die selige und heilige Dreieinigkeit, Vater, Sohn und Geist, schuf die menschliche Seele nach ihrem Bilde und Gleichniß, da sie ihr Gedächtniß, Vernunft und Willen und damit Macht, Weisheit und Reinheit gab. Allein von dieser höchsten und herrlichsten Dreiheit fiel die Seele in eine entgegengesetzte und häßliche: in Schwäche, Blindheit und Getrübtheit. Denn das Gedächtniß ward ohnmächtig, die Vernunft finster, der Wille unrein. Das Gedächtniß im Besondern, gleichsam auf Felsen herabstürzend, zerspaltete sich wiederum in die Dreiheit von leidenschaftlichen, beschwerlichen und müßigen Gedanken. Auch der Fall der Vernunft war ein dreifacher. Sie sollte unterscheiden zwischen gut und böse, Wahrheit und Irrthum, Vortheil und Schaden. In diesem Geschäft aber ist sie so erblindet, daß sie oft Böses für Gutes, Irrthum für Wahrheit, Schaden für Vortheil ansieht. Auch der Wille endlich, der mit dem höchsten Gute vereint und verbunden bleiben sollte, ging vermittelst der Augenlust, der Fleischeslust und des hoffärtigen Wesens ganz in die Liebe der Welt und des Irdischen ein.